Felix Heidenreich, Theorien der Gerechtigkeit

„Der Begriff der Gerechtigkeit scheint durch den inflationären Gebrauch in der politischen Alltagsrhetorik derartig abgenutzt, dass er zum beliebigen Füllhorn für alle nur denkbaren Meinungen und Ansichten wird.“ (7)

Felix Heidenreich geht der gesellschaftlich spannenden Frage nach der „Gerechtigkeit“ nach und versucht anhand einer Theorie der Gerechtigkeit den ansonsten nur verschwommenen Begriff der Gerechtigkeit zu schärfen und aufzuzeigen woran sich ein Nachdenken über Gerechtigkeit orientieren kann.

Anhand von Sophokles Tragödie „Antigone“ überprüft der Autor, wie die Antworten der verschiedenen Vorstellungen, die sich im Laufe der Geschichte zur Gerechtigkeit entwickelt haben, zum Dilemma der Auseinandersetzung zwischen Antigone und König Kreon aussehen könnten. Anhand dieses Vergleiches der verschiedenen Theorien lassen sich die unterschiedlichen Wertvorstellungen und Prioritäten besonders gut erkennen.

Zunächst setzt sich Heidenreich mit den Anfängen der Gerechtigkeitstheorien in der Antike auseinander. Beginnend mit einem Ausblick in die unterschiedlichen Vorstellungen von Gerechtigkeit im Alten Ägypten und in Israel wird das Gerechtigkeitsverständnis in der griechischen Philosophie von den Vorsokratikern über Sokrates und Platon bis Aristoteles dargestellt und reicht thematisch von der „Idee des Guten“ (25) bei Platon hin zur „Gemeinschaft der Tugend“ (35) bei Aristoteles. Für das Römische Reich hat sich vor allem Cicero „Gerechtigkeit durch Pflicht“ (42) theoretisch mit dem Phänomen Gerechtigkeit auseinander gesetzt.

Ein weiterer historischer Abschnitt behandelt das Gerechtigkeitsverständnis im Mittelalter, das von theologischer Seite vor allem durch das Christentum durch große Denker wie Augustinus, Anselm von Canterbury und Thomas von Aquin geprägt worden ist. Aber auch Dantes Höllenvision (58) und seiner Sicht auf Gerechtigkeit und Mitleid prägen das Denken der mittelalterlichen Welt. Im mittelalterlichen Denken sind Themen wie „Die Gerechtigkeit Gottes“ oder „Kirchenrecht und Staatsrecht“ zentrale Fragen der gesellschaftlichen Diskussion.

Die Neuzeit wird geprägt durch die sich entwickelnde Vorstellung „Gerechtigkeit wird machbar“ (71) Theoretiker wie Machiavelli, Hobbes oder die Vorstellung von einem Naturrecht prägen den Diskurs dieser Zeit. Bei Rousseau und Kant stehen „Gerechtigkeit und Freiheit“ (91) im Zentrum der Frage nach Gerechtigkeit, während John Stuart Mill „Gerechtigkeit als Nutzen“ (99) versteht.

Ebenfalls in der Neuzeit ist die Entstehung der „Ideologien der Gerechtigkeit“ anzusetzen, mit ihren verschiedenen Antworten im Liberalismus, Sozialismus und Ansätzen im Fortschrittsdenken.

Für die Diskussion über Gerechtigkeit in der Gegenwart zieht Heidenreich den amerikanischen Philosophen John Rawls ebenso heran wie Alasdair McIntyre, Michael Walzer, Niklas Luhmann, Richard Rorty, Emmanuel Lévinas, Jürgen Habermas, Axel Honneth, Rainer Forst und Armatya Sen.

Der Abschnitt „Plurale Gerechtigkeit: aktuelle Problemlagen“ widmet sich den aktuellen Fragen nach Gerechtigkeit aus den unterschiedlichen Interessenslagen wie „Soziale Gerechtigkeit“, „Gerechtigkeit zwischen Mann und Frau“, „Ökologische Gerechtigkeit“, „Gerechtigkeit gegenüber Tieren“, „Interkulturelle Gerechtigkeit“, und schließlich „Globale Gerechtigkeit“. In einem abschließenden Ausblick wird die Frage nach einem Begriff der „Gerechtigkeit“ noch einmal grundsätzlich thematisiert und anhand verschiedener aktueller Positionen dargelegt.

Felix Heidenreich gelingt es, sich der Frage nach der „Gerechtigkeit“ auf unterschiedlichen Wegen anzunähern. Einerseits erleben wir in einem historischen Abschnitt, wie sich die Vorstellung von Gerechtigkeit zu den verschiedenen Zeiten in den verschiedenen Gesellschaften entwickelt und verändert haben. Andererseits erfahren wir auch die Grundlagen für die unterschiedlichen Positionen und Ansätze unserer Diskussion über Gerechtigkeit in der Gegenwart.

Darüber Bescheid zu wissen, öffnet den Leserinnen und Lesern die Augen für die Schwierigkeiten und Gegensätze, die sich in der Diskussion über und der Bestimmung von Gerechtigkeit eröffnen. Ein spannendes, informatives und überaus wichtiges Buch über eine der wesentlichsten Fragen unserer Gegenwart.

Felix Heidenreich, Theorien der Gerechtigkeit. Eine Einführung
Stuttgart: UTB-Verlag 2011, 251 Seiten, 17,40 €, ISBN 978-3-8252-3136-1
 

Weiterführende Links:
UTB-Verlag: Felix Heidenreich, Theorien der Gerechtigkeit
Internationales Zentrum für Kultur- und Technikforschung: Dr. Felix Heidenreich

 

Andreas Markt-Huter, 05-06-2012

Bibliographie

AutorIn

Felix Heidenreich

Buchtitel

Theorien der Gerechtigkeit. Eine Einführung

Erscheinungsort

Stuttgart

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

UTB-Verlag

Seitenzahl

251

Preis in EUR

17,40

ISBN

978-3-8252-3136-1

Kurzbiographie AutorIn

Dr. Felix Heidenreich ist am Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung der Universität Stuttgart tätig.