Franzobel, Der junge Hitler
Wenn sich etwas spielen lässt, gilt es als bewältigt, sagt man in der Psychoanalyse.
Im Stück „Der junge Hitler, eine Therapie“ stellt Franzobel die Frage, ob sich der Hitler-Spuk schon spielen lässt oder ob er immer noch brandgefährlich ist. Die Groteske ist bei ihm nicht immer Herr der historischen Lage und macht sich phasenweise aus dem eigenen Stück davon.
In einer psychiatrischen Anstalt findet im so genannten Hitlerzimmer ein Experiment statt. Probanden wollen herausfinden, ob man Hitler hätte verhindern können, wenn man ihn rechtzeitig psychiatrisch behandelt hätte. Immerhin geht es um Veränderbarkeit von Geschichte und den Nutzen von Psychiatrie.
Hitler, Eva Braun ein paar Nazigrößen und Bunkerinsassen spielen Sequenzen aus der überlieferten Geschichte, gesicherte historische Fragmente und zwischendurch sich selbst als Handwerker der Psychiatrie. Schier nicht zu halten ist die Weiningerin, die eine entsprechende Diplomarbeit verfasst hat und nun teilweise klüger ist als die Wirklichkeit. Hitler hingegen reibt sich am Vaterbild ab und kommt phasenweise in eine weinerliche Lage.
Am Schluss eskaliert die Groteske, denn die Figuren entgleisen und machen sich daran, den Nazi-Rausch ein zweites Mal zu inszenieren. So wird das Experiment abgebrochen und die Beteiligten werden, ganz echte Geschichte, zum Stillschweigen verpflichtet.
Wer nicht vergisst, wird bestraft. – Aber wer vergisst, den bestraft das Leben! (69)
Im zweiten Stück „Von Zöllnern und Schmugglern“ löst sich der Staat an seiner Grenze in bitteren Klamauk auf. An der Grenze halten sich üblicherweise nur Überlebenskünstler und Zöllner auf, alle anderen haben mit Grenzen nichts am Hut. Eine Wirtin schmuggelt, prostituiert und handelt, was das Zeug hält. Die Zöllner sind nicht nur grenzdebil sondern auch Hormon-defekt, egal ob sie in Uniform oder privat sind, sie verlieren sich in Pingeligkeiten und gehässigem Kleinkram.
So muss ein Passagier die ganze Zahncreme aus der Tube drücken, weil der Evidenzrat eingetroffen ist und kontrolliert, ob es wohl an der Grenzstation funktioniert mit der Ordnung.
Als der Staat schließlich die Grenzen auflässt, bleiben die Zöllner in ihrem Weltbild und Lebenssinn allein zurück. Eine Sondereinheit muss die ehemalige Grenzstation ausräuchern und die Zöllner ruhig stellen.
Franzobel bringt mit den Mitteln des Grusicals defekte Typen auf die Bühne. Die meisten Figuren sind so defekt, dass sie es nicht einmal auf der Bühne schaffen, über die Runden zu kommen. Wie daneben liegen diese Typen dann erst auf der Realitäts-Bühne, ist man versucht zu fragen.
Die Volksstücke bringen grimmige Unterhaltung, wobei einem das Lachen oft im Hals stecken bleibt. Und der Reinigungsprozess ist durchaus wirksam, zumindest beim Publikum. Die Figuren selbst sind in ihrem Unfug so erschöpft, dass sie zu keinem weiteren Lebensakt mehr fähig sind.
Alles, was der Mensch ist, ist er aus Angst. (125)
Franzobel, Der junge Hitler. Zwei Volksstücke. [Enthält: Der junge Hitler, Eine Therapie; Von Zöllnern und Schmugglern].
Innsbruck, Wien: Kyrene 2012. 131 Seiten. EUR 12,50. ISBN 978-3-902873-01-9.
Weiterführende Links:
Kyrene-Verlag
Wikipedia: Franzobel
Helmuth Schönauer, 03-04-2013