Gerhard Jaschke, bis auf weiteres

Die Lyrik fließt nicht nur als feierliches Brimborium, als spitze Spreche oder abgeklärter Lesebucheintrag durchs Land, die wilde Lyrik ist oft unauffällig, selbstkritisch und politisch in ihrer Verweigerung des tagespolitischen Geplänkels.

Gerhard Jaschke arbeitet zäh und ungeniert auf den Sektoren lyrische Theorie, Schau-Literatur und Aushebelung falscher Konventionen. Sein lyrisches Ich quält sich an der Hinfälligkeit biologischer Körper und lyrischer Formen ab. Legendär ist seine unverwüstliche Zeitschrift FREIBORD, und auch seine Methode, fallweise die Lyrik als Bauchladen auszustellen und griffbereit zu halten, ist ein Fall gelungener Dokumentationskunst.

„bis auf weiteres“ ist eine Art Zwischenbilanz, worin in neun Kapiteln die Welt tatsächlich neu erfunden wird als etwas, das es zuvor noch nicht gegeben hat (Kap. I). Diese Erfindungslust endet mit jenem Strawanzen, worin das lyrische Ich endlich Auslauf kriegt und jenseits der physikalischen und irdischen Gegebenheiten alles zu sehen vermag, was auf den ersten Blick verborgen ist.

Was nicht zu sehen ist // ist nicht vorhanden. / Haben wir darauf vergessen? (60)

„Arbeit am Nichtstun“ zeigt eine elegante Methode auf, wie man auf die Rückseite der Phrasen gelangt ohne sich dabei zu verrenken.

Neue Nichtse / braucht das Land, / aber in ganz und gar / anderem / Gewand.

In Form eines Abzählreims aus Kindertagen werden hier ganze Straßenfluchten voller falscher Parolen entlarvt, dem Kalauer wird verlässlich mit einem Kalauer geantwortet, dem Stoßseufzer mit einem Stoßseufzer und der Floskel mit einer Floskel.

Im zentralen Kapitel „was wir wirklich wissen wollen“ geht es um nichts anderes als den sogenannten Sinn des Lebens. Es gibt keine Antworten, und auch die Fragen sind als semantisches Zapfen-Rechnen mit kalkulierbarem Ausgang angelegt.

Placebo-Gedichte sind wie Placebo-Medikamente von den Wirkstoffträgern kaum zu unterscheiden, es kommt auf das lyrische Ich drauf an, was es davon hält. In diesem Abschnitt ist die Gebrechlichkeit und Hinfälligkeit des Menschen dokumentiert, die sich am besten mit dem hingeblafften „Arme Sau“ beschreiben lässt.

Selbst ich bin entbehrlich. (45)

Oft gehen die Texte das ausgetrocknete Flussbett zurückgehaltener Theorien entlang und bewässern es. Das Wesen von FLUXUS als Rückgrat der Lyrik, die Biegsamkeit japanischer Haikus in deutscher Sprache, das Ablösen eines Bildes von der Wand und seine Ausbreitung in einem Gedicht sind bemerkenswerte Verfahrensweisen, die den Lyriker Gerhard Jaschke zu einem minimalistischen Galeristen oder Performer in Klein-Gesten auswachsen lassen.

Und ständig treiben Neugierde, Sprachspiel-Lust und Eigen-Schalk den Gerhard Jaschke voran, „bis auf weiteres“.

Gerhard Jaschke, bis auf weiteres. Gedichte, (= Neue Lyrik aus Österreich, Band 14)
Horn: Berger Verlag 2016, 64 Seiten, 16,50 €, ISBN 978-3-85028-733-3

 

Weiterführende Links:
Berger Verlag: Gerhard Jaschke, bis auf weiteres
Wikipedia: Gerhard Jaschke

 

Helmuth Schönauer, 07-05-2016

Bibliographie

AutorIn

Gerhard Jaschke

Buchtitel

bis auf weiteres. Gedichte

Erscheinungsort

Horn

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Berger Verlag

Reihe

Neue Lyrik aus Österreich, Band 14

Seitenzahl

64

Preis in EUR

16,50

ISBN

978-3-85028-733-3

Kurzbiographie AutorIn

Gerhard Jaschke, geb. 1949 in Wien, lebt in Wien und NÖ.