Hansjörg Schneider, Nilpferde unter dem Haus

Wer für seine Aufzeichnungen einen klugen Titel findet, kann damit vielleicht in einem Satz sein Leben beschreiben. Nilpferde unter dem Haus – was für bemerkenswerter Titel!

Der Schweizer Erfolgs-Dramatiker und Krimischriftsteller gibt seinen Tagebüchern aus dem Jahr 2001 sowie den Aufzeichnungen zwischen 2008 und 2011 diese mysteriöse Bezeichnung, die auf einen markanten Traum zurückgeht.

Der Traum ist überhaupt das wesentliche Element in der Literatur Hansjörg Schneiders. In den beinahe intimen Aufzeichnungen stellt er jeweils einen sagenhaft skurrilen Traum vor, den er meist mitten in der Nacht aufschreibt, um anschließend ungehemmt weiterzuschlafen. Bei Tageslicht werden diesem Traum luzide Beobachtungen zur Literatur, der Schweiz sowie dem eigenen Leben hinzugefügt. Daraus ergibt sich ein wundersames Konglomerat plastischer Fiktion.

Ein Hauptmotiv ist sicher die erotische Störung, die im beinahe kollektiven Ausmaß über die Schweiz gestülpt ist. Eine These besagt, dass diese Störung auf die Abkapselung der Schweiz während des Krieges zurückzuführen ist, vor lauter Rückzug hat man auch die Erotik mit ins Reduit genommen und dort vergessen.

Die Hauptthese im Bereich der Dramaturgie besteht in der Unterscheidung zwischen „Primärern“ und „Sekundärern“ (39). Die einen produzieren was, verdienen nichts und werden ständig abgelehnt, die anderen cashen ab, vernichten alles und geben den Ton im Theaterwesen an. Diese These legt der Autor auch auf andere Künste um und verschafft sich dadurch ziemlich freche Einsichten.

Über den gesellschaftlichen Zustand der gegenwärtigen Gesellschaft hat Hansjörg Schneider einen vernichtend klaren Satz parat: „Prüfer ist der Beruf der Stunde!“ (142) Ob auf den Unis, in den Laboratorien oder auch in den politischen Headquartern: es wird nichts mehr geschaffen, sondern nur noch geprüft. Tatsächlich besteht ein Studium heutzutage nur noch aus Prüfungen, und auch eine Dissertation wird nicht mehr begutachtet sondern nur noch auf Abschreibfehler hin geprüft.

In diesem Lichte begutachtet der Autor auch wesentliche Stationen seiner eigenen Lektüre, dabei kommen die hoch geschätzten Dichter oft nicht nur gut weg, weil sie offensichtlich von einer rigiden Gesellschaft in die Höhe geprüft worden sind.

Und was machen nun die Nilpferde unter dem Haus? Aus dem Schlamm der eigenen Familiengeschichte wälzen sie sich eines Nachts unter dem Haus des Vaters heraus und brechen in ein neues Leben auf, worauf der Autor erwacht. (76) – Eine hoffnungsvolle, abgeklärte Aufschreibung des Lebens eines Siebzigjährigen, bei dem es in mancher Hinsicht erst so richtig los geht.

Hansjörg Schneider, Nilpferde unter dem Haus. Erinnerungen, Träume.
Zürich: Diogenes 2012. 219 Seiten. EUR 22,60. ISBN 978-3-257-06807-8.

 

Weiterführende Links:
Diogenes-Verlag: Hansjörg Schneider, Nilpferde unter dem Haus
Wikipedia: Hansjörg Schneider

 

Helmuth Schönauer, 11-04-2012

Bibliographie

AutorIn

Hansjörg Schneider

Buchtitel

Nilpferde unter dem Haus. Erinnerungen, Träume

Erscheinungsort

Zürich

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Diogenes-Verlag

Seitenzahl

219

Preis in EUR

22,60

ISBN

978-3-257-06807-8

Kurzbiographie AutorIn

Hansjörg Schneider, geb. 1938 in Aarau, lebt in Basel und im Schwarzwald.