Jürgen Genthner, Therapienovelle

Eine Altherrenrunde, die sich regelmäßig dem Canasta hingibt, ist wahrscheinlich das Stabilste und Staatstragendste, was einem Staat wie Österreich passieren kann.

In Jürgen Genthners „Therapienovelle“ versammeln sich regelmäßig vier Typen Marke Hofrat um den Canasta-Tisch, alle haben es in jene Sphären der Macht geschafft, wo einem nichts mehr passieren kann und wo dann auch nichts mehr passiert.

Der Ich-Erzähler Dr. Stoisser erzählt dann gleich seinen Werdegang, der für die ganze Runde gelten könnte. Aus der biederen Provinz stammend nach den Richtlinien der NAPOLA im Nachkriegsösterreich erzogen lässt er sich in Graz nieder, ehe ihn der Ruf nach Wien ins Ministerium ereilt. Einmal wird er sogar als „renitent“ bezeichnet, was das höchste Lob ist, das so ein Beamter einheimsen kann.

Während der Canasta-Runden wird in der Hauptsache gehobener Scheiß geredet, Aufregung kommt erst auf, als plötzlich ein fünfter Spieler eingeladen wird. Angeblich handelt es sich um eine therapeutische Maßnahme, bald kommt auch das neue Thema zur Sprache, der Neue ist schwul.

Ab jetzt tritt das Kartenspiel völlig in den Hintergrund, die alten Herren reden nur noch über Sexualpraktiken, erste Sexerlebnisse, Seitensprünge, Therapien, Vertuschungen und die lüsterne Seele, die allen bei den diversen Öffnungen heraushängt. Verbal ist Schwulsein kein Problem, aber unter der abgebrühten Haut juckt es verdächtig, ob man diese Neigung nicht doch irgendwie heilen sollte.

Der Sommer streicht hitzig ins Land, zuerst einmal in Gestalt eines Sommerfestes, bei dem die Helden über das Abschneiden der Eier und den österreichischen Geist von 1848 räsonieren. Und dann outet sich eine gewisse Selina als Erotik-Meisterin, die die ganze Runde aufmischt, zumindest jene, die es nötig haben. Sex wird von ihr einfach als Therapie angeboten und sie heilt alle der Reihe nach, was auch immer sie für Probleme haben.

Harmonie ist letztlich der Sinn jeder Novelle und so endet auch die Therapienovelle in Wohlgefallen, indem in allen Betten Sex in allen Formen angeboten wird, was die Helden zwischendurch altersbedingt ausschlagen.

Jürgen Genthner lässt die österreichischen Alpha-Tiere der Stagnation bewundernswert menschlich auftreten, sie alle sind große Kinder geblieben, die achtsam ihre Ressorts führen aber eigentlich nach der Mama schielen, für die sie das alles tun. Und die Geliebte oder Frau kann ein wenig Erleichterung schaffen, wenn man es Therapie nennt, aber eigentlich ist Sex etwas, das haarscharf an einer Krankheit vorbei schremmt. - Therapeutisch grotesk!

Jürgen Genthner, Therapienovelle.
Klagenfurt: Sisyphus 2014, 116 Seiten, 12,80 €, ISBN 978-3-901960-77-2

 

Weiterführender Link:
Sisyphus Verlag: Jürgen Genthner, Therapienovelle

 

Helmuth Schönauer, 02-04-2014

Bibliographie

AutorIn

Jürgen Genthner

Buchtitel

Therapienovelle

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Sisyphus Verlag

Seitenzahl

116

Preis in EUR

12,80

ISBN

978-3-901960-77-2

Kurzbiographie AutorIn

Jürgen Genthner, geb. 1959 im Salzkammergut, lebt in Wien.