Markus Bundi, Vom Verschwinden des Erzählers

Von Zeit zu Zeit sollte man als neugierig gebliebener Leser Texte von geschätzten Autoren mit etwas Meta-Stoff hinterlegen. Solche Bücher über Bücher sind durchaus unterhaltsam, fordern die Intelligenz heraus und stellen ein Instrumentarium zur Verfügung, das so etwas wie „lege artis“ in der Medizin entspricht.

Markus Bundi hat während seiner Alois Hotschnig Lektüre festgestellt, dass die meisten Begriffe bei diesem Autor nicht weiterhelfen, weil er offensichtlich etwas Neues erfunden hat. Ausdrücke wie Erzählperspektive und Erzählinstanz helfen nur bedingt weiter, weil Alois Hotschnig letztlich alles daran setzt, jeglichen Erzähler zum Verschwinden zu bringen. Das wertet den Leser auf, weil er letztlich zwar von allen Hilfsmitteln verlassen wird, dadurch aber auch Souveränität gewinnt.

Am Beispiel der Erzählung Begegnung aus „Die Kinder beruhigte das nicht“ zeigt Markus Bundi, wie während des Erzählens die Figuren alle entkernt werden, bis nur noch deren Hüllen herum flattern, die der Leser bei Bedarf mit seiner Kompetenz füllen muss, wenn er die pure Hülse nicht aushält.

Bereits mit seiner ersten Erzählung „Aus“ hat Alois Hotschnig das Leben auf eine finale Auseinandersetzung mit einem Sterbenden reduziert und dabei quasi dort fortgesetzt, wo Samuel Beckett mit seinem „Letzten Band“ aufgehört hat. Der Leser wird in die Auseinandersetzung involviert und führt eigentlich die Erzählung voran, nachdem sich alle konventionellen Erzähler daraus verabschiedet haben.

Das Abtauchen des Erzählers kann auch dazu führen, dass ein Stimmenhaufen übrig bleibt, der wie in der Erzählung „Ausziehen ja, anziehen auch“ den Leser mit in diese Ansammlung von aufgelösten Figuren hineinzieht. Am Vergleich der gelesenen Erzählung mit ihrer Realisation als Hörspiel merkt man, welche Freiheit aber auch welche Verantwortung dem Leser zukommen. Jede Eindeutigkeit vernichtet bereits das Hotschnig-Konzept, weshalb man die Stimmen letztlich nicht einmal laut lesen darf.

Markus Bundi ist ein Fan dieser Erzählweise und hält sich mit dieser mitreißenden Stimmung nicht zurück. Dabei überlässt er es immer dem Leser, sich auf seinen Vorschlag einzulassen, aber in den meisten Fällen sind sie so überzeugend, dass man Bundis Weg freiwillig mitgeht, um letztlich auf Alois Hotschnig zu treffen.

So nebenher fällt ein passables Inventar an Begriffen an, mit denen man sich seltenen Texten der Gegenwart annähern kann. Beiläufig werden diese Thesen auch mit der gängigen Lektüre-Erfahrung von Robert Walser, Joseph Roth oder eben Samuel Beckett verknüpft.

Diesen Essay sollte man für sich als Belohnung lesen, dass man noch nicht ganz in der Krimiwelt der Gebrauchsliteraturen vom Kiosk untergegangen ist.

Markus Bundi, Vom Verschwinden des Erzählers. Ein Essay zum Werk von Alois Hotschnig
Innsbruck: Haymon 2015, 125 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-7099-7171-0

 

Weiterführende Links:
Hamyon Verlag: Markus Bundi, Vom Verschwinden des Erzählers
Homepage: Markus Bundi
Wikipedia: Alois Hotschnig

 

Helmuth Schönauer, 08-03-2015

Bibliographie

AutorIn

Markus Bundi

Buchtitel

Vom Verschwinden des Erzählers. Ein Essay zum Werk von Alois Hotschnig

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Haymon Verlag

Seitenzahl

125

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-7099-7171-0

Kurzbiographie AutorIn

Markus Bundi, geb. 1969, lebt in Neuenhof / Schweiz.<br />Alois Hotschnig, geb. 1959 in Berg / Drautal, lebt in Innsbruck.