Michael Krüger, Der Gott hinter dem Fenster

Wenn ein Meister erzählt, unterscheiden sich diese Kunstwerke äußerlich, thematisch oder strukturell kaum von anderen Erzählungen, die als gewöhnlich gelten. Aber untrügliches Zeichen der Meisterschaft ist immer jenes kaum hörbare Ticken, das sich oft erst nach Tagen im Corpus der Leserschaft entfaltet.

Michael Krüger entlässt seine Erzählungen unspektakulär und leise, wie man vielleicht Fische in tiefes Wasser aussetzt. Seine Erzählpunkte sind immer Aussichtswarten, von denen man auf der einen Seite auf ein reifes Leben zurückblickt und auf der anderen Seite auf ein weites Feld ohne Fixpunkte der Gewissheit Ausschau hält.

„Abschied“ heißt so eine Plattform, von der aus das Leben reflektiert wird. Jemand aus der Publikationsbranche zieht sich zurück und lässt das Leben Revue passieren. Zusammen mit seinem geschäftigen Bruder, der in der Wissenschaft tätig ist, hat er sich ein Sommerhaus auf einer Insel zugelegt Jetzt wird dieses Haus zum Greifen plastisch, weil es die Gegenwart ist.

Es ging immer um die Zukunft, die Gegenwart war mehr oder weniger abgeschrieben. (33)

Als stilles Leitmotiv zieht sich eine Frau durch die Erzählung, die öfters angesprochen wird, von der man aber nur erfährt, dass sie eines Tages ausgezogen und verschwunden ist.

„Für Immer“ nennt sich eine Art Abschiedstour, die der Held durch wichtige Orte seines Lebens unternimmt. Sinnigerweise nimmt er auf dem Weg nach Tirol einen theologischen Autostopper mit, der ihn so lange belabert, bis er ihm das Wort verbietet. In Innsbruck wird der Ich-Erzähler den Theologen los, der vielleicht von hier aus Papst werden wird. Er selbst geht auf das Grab Trakls um bei dieser Gelegenheit die Notizen seines Vaters abzuarbeiten. Später fährt er in den Süden und wirft bei nächster Gelegenheit die Notizen des Vaters ins Kaminfeuer.

„Aus dem Leben eines Schriftstellers“ lässt ein paar verschollene Kollegen wie H.C Artmann oder Peter Rühmkorf auftauchen, die aber letztlich schon in ihren germanistischen Schatullen abgelegt sind. Dem alternden Schriftsteller bietet sich ein Antiquar an, nach dem Ableben die Bücher zu übernehmen. In dieser Grauzone von Gegenwart und Zukunft ist es gar nicht so leicht, stabil mit seinem Werk zur Ruhe zu kommen.

Die Fügung „Der Gott hinter dem Fenster“ spielt auf die Überlegung an, dass man letztlich einen ganzen Schöpfungsbericht vor Augen hat, wenn man aus dem Fenster schaut. Diese Fensterperspektive ist das Mächtigste und Universellste, was man der Welt als Eintrittspforte entgegensetzen kann.

„In den Bergen“ geht zwischendurch jeder Halt für die Sinnesorgane verloren. In einem Mittelding zwischen Euphorie und Delirium erscheinen dem Protagonisten diverse Bilder aus der Literatur und verknüpfen sich mit dem Abenteuer der Landschaft. Die Spuren könnten auf echte Wölfe hinweisen, andererseits sirren manche Sätze, als ob sie von Kafka wären. Gewiss ist nichts, das ist sicher.

„Zukunft. Eine Legende“ nennt sich der kürzeste Auftritt. Jemand hat das Leben hinter sich und nur noch wenig Zukunft vor sich. Da sieht er in einer erotischen Wischbewegung in der Ferne eine junge Frau.

Mit letzter Hand hob ich die Hand und winkte zurück. (128)

Der Alltag ist voll von diesen Abschieden, Ungewissheiten, melancholischen Ausgucken. In Michael Krügers Erzählungen kommt so etwas wie Herzstolpern zum Vorschein, der Lauf der Welt wird kurz in der Brust angehalten, ehe er in sachterem Tempo und in einer anderen Richtung weitergeht.

Michael Krüger, Der Gott hinter dem Fenster. Erzählungen
Innsbruck: Haymon 2015, 224 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-7099-7191-8

 

Weiterführende Links:
Haymon Verlag: Michael Krüger, Der Gott hinter dem Fenster
Wikipedia: Michael Krüger

 

Helmuth Schönauer, 09-11-2015

Bibliographie

AutorIn

Michael Krüger

Buchtitel

Der Gott hinter dem Fenster

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Haymon Verlag

Seitenzahl

224

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-7099-7191-8

Kurzbiographie AutorIn

Michael Krüger, geb. 1943 in Wittgendorf, lebt in München.