Nikos Dimou, Über das Unglück, ein Grieche zu sein

„Es gibt Griechen, die kritisch über sich nachdenken, und Griechen, die das nicht tun. Die folgenden Gedanken richten sich vor allem an die Zweiten. Sie sind jedoch den Ersteren gewidmet.“ (7)

Den eigenen Landsleuten einen wenig schmeichelnden Spiegel vorzuhalten, kommt meist nicht gut an. Dennoch nimmt sich der Philosoph Nikos Dimou in seiner Aphorismensammlung „Über das Unglück, ein Grieche zu sein“ kein Blatt vor den Mund. Doch wer genau liest, erkennt rasch, dass zwischen den Zeilen der Kritik, Liebe und Zuneigung, das „Wir“ dominieren.

In der Einleitung sinniert Dimou „Über das Unglück ein Mensch zu sein“, wobei er zunächst von einer allgemeinen Definition des Glücks ausgeht und darüber das Wesen des Unglücks definiert, das dann eintritt wenn „sich Wunsch und Wirklichkeit nicht decken.“ (9) oder anders gesagt, Unglück als „Distanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit“ (9)

Nach zahlreichen Beispielen für das Empfinden von Glück und Unglück bei Menschen und der Definition des Menschen als tragisches Wesen, das mit zunehmendem Begehren die Kluft zwischen Mensch und Welt immer mehr vergrößert. Unter den Menschen trage, so Dimou, nun der Neugrieche eine ganz besonders ausgeprägte Veranlagung zum Unglück, was auf seine Geschichte, sein Erbe und seinen Charakter zurückzuführen sei, der sich in seinem Hang zur Übertreibung auszeichne, die eine Lebensform des Griechen sei.

die ewige Neigung zur Übertreibung, die uns immer ins Extreme führt, und unsere ebenfalls ewige innere Widersprüchlichkeit und Wankelmütigkeit. Nichts für uns, die goldene Mitte des Aristoteles. (S. 15)

Der Grieche sei ein Nörgler, er sich nur im Unglück glücklich weiß, vielleicht ein Relikt aus der Zeit der Türkenherrschaft, ein Merkmal malträtierter Völker. Als besonders drückend für die Neugriechen erweist sich aber der Vergleich mit den alten Griechen, an dem die einen von der Vollkommenheit ihrer Vorfahren und der Last ihres Erbes erdrückt werden, während jenen, die von den Alten nur vom Hörensagen wissen, der Ruhm zwar schmeichelt, ihre Unwissenheit aber gleichzeitig beunruhigt. Eine dritte Gruppe der Ungebildeten, betrachten die Alten wie Helden in Volksmärchen und können als einzige ohne Angst vor dem großen Erbe leben.

Ein weiteres Kapitel ist auch das Verhältnis des Griechen zu Europa, als dessen sich Teil er sich nicht wirklich sieht. Vor allem die großen kulturellen Strömungen haben Griechenland nur schwach gestreift, wie die Renaissance, Reformation, Aufklärung oder industrielle Revolution.

Dimou bezeichnet die Griechen auch als Volk ohne Gesicht, ohne Identität, das sich nicht im Spiegel zu betrachten wagt und so verschiedene Rollen spiele, was mit ein Grund für die Minderwertigkeitskomplexe der Griechen sei.

Am Ende untersucht Nikos Dimou die griechische Wirklichkeit anhand von Stichproben aus dem politischen und gesellschaftlichen Bereich und findet für die verschiedenen Institutionen und Bereichen wortstarke Aphorismen.

Andere Völker haben Institutionen. Wir haben Luftspiegelungen. (43)
Andere Völker haben eine Religion. Wir haben Popen. (48)
Das Fehlen jeden Systems in Griechenland hat selbst die Entstehung eines Klassensystems verhindert. (50)

Als versöhnlicher Ausgang am Ende des Buches heißt es schließlich:

Siehe da, beim Schreiben über das Unglück habe ich zugleich über das Glück geschrieben. Über das Glück des Unglücks, ein Grieche zu sein. (67)

Nikos Dimou Aphorismensammlung besticht durch seinen Witz und Esprit, durch seine kühnen Übertreibungen, in denen er sich augenzwinkernd als echter Grieche erweist. Seine 1975 erstmals veröffentlichte Schrift hat vor allem vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise, die Griechenland ganz besonders betroffen und in den Fokus der europäischen Öffentlichkeit gerückt hat, an neuer Aufmerksamkeit gewonnen.

Es bleibt zu hoffen, dass das Büchlein als das gelesen wird, als das es bei aller Kritik geschrieben worden war: als eine Liebeserklärung an ein Land, das allgemeinhin als Wiege der europäischen Kultur verstanden wird.

Nikos Dimou, Über das Unglück, ein Grieche zu sein. Übers. v. Maro Mariolea
München: Verlag Antje Kunstmann 2012, 80 Seiten, 8,20 €, ISBN 978-3-88897-765-7


Weiterführende Links:
Verlag Antje Kunstmann: Nikos Dimou, Über das Unglück, ein Grieche zu sein
Wikipedia: Nikos Dimou

 

Andreas Markt-Huter, 14-05-2014

Bibliographie

AutorIn

Nikos Dimou

Buchtitel

Über das Unglück, ein Grieche zu sein

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Antje Kunstmann

Übersetzung

Maro Mariolea

Seitenzahl

80

Preis in EUR

8,20

ISBN

978-3-88897-765-7

Kurzbiographie AutorIn

Der Philosoph Nikos Dimou wurde in Athen geboren, studierte in Athen und München und ist Autor von über 60 Büchern. Bekannt wurde der streitbare Intellektuelle durch seine Fernsehtalkshows, Radiosendungen und vielbesuchten Blogs.