Philipp Röding, Die Stille am Ende des Flurs

Ein Mann vergafft sich in der Straßenbahn in eine Frau, geht ihr im geordneten Stalking-Abstand hinterher bis zu ihrer Wohnungstür. Als sie darin verschwunden ist, riecht er an der Tür und stellt fest, dass sie geruchlos ist. – Was ist das, eine Beschreibung eines Psychopaten, eine erotische Abbruchgeschichte, eine Meldung über das Versagen der Sinnesorgane?

In Philipp Rödlings zehn Erzählungen von der Stille am Ende des Flurs klaffen meist Oberfläche und Tiefgang des Beobachteten auseinander. Wenn die Wohnungstür geruchlos ist, wird auch alles Dahinterliegende unfassbar und unriechbar. Der Betrachter steht fassungslos vor der vollkommenen Entkoppelung zwischen Erotik und Körperlichkeit, die Sinnesorgane sinnen ins Leere, die eingelangten Impulse zur Außenwelt sind falsch verkabelt, sodass sie im Hirn des Empfängers unnütze oder falsche Bilder erzeugen.

So bleibt gleich in der Eröffnungsgeschichte „Rost“ ein Betrachter am Morgen einer Party in der Küche der Gastgeberin hängen, diese erzählt ihm von einer verflossenen Liebe, der sie ein Fahrrad geschenkt hat. Und tatsächlich bemerkt der Erzähler beim Hinausgehen, dass das Fahrrad bereits Rost angesetzt hat.

In einer anderen Küche ist eine Haushaltshilfe übriggeblieben, die dem Jungen erklärt, dass die Eltern fort sind, dies aber nichts zu bedeuten hat. Der Junge vermisst die neue Lage und vergleicht sie mit einem Astronauten, der mit zunehmender Entfernung sieht, wie klein die Welt eigentlich ist.

In einer Ausstellung ist Anna noch da, der Erzähler bemerkt, dass sie manchmal Teil eines Bildes wird, wenn sie günstig davor steht. Dann aber ist Anna weg und der Held fragt sich, wie das geschehen konnte und vor allem, wann es geschehen ist.

In der Titelgeschichte „Die Stille am Ende des Flurs“ ist diese schwerelose Leere angerissen, die jeden Hotelgast umfängt, wenn er bei Tageslicht in ein leeres Hotel einzieht. Diese Stille treibt den Gast wieder zurück auf den Gang, wo er frech an eine fremde Tür klopft und sich dahinter eine erotische Geschichte vorstellt. Der Höhepunkt ist jene Millisekunde, in der der Knöchel des Klopfenden auf das Türblatt trifft.

Ein Filmvorführer sieht zum zehntausendsten Mal auf die Leinwand.

Weil das Bild sich nicht verändert, kann ich es genau ansehen: Mein Blick, der seit Wochen und Monaten derselbe ist und festhängt an einem Punkt, der zu weit entfernt ist, um noch definierbar zu sein. Dort also schauen die Leute hin. (92)

Philipp Rödings Erzählsequenzen sind in ihrer Sachlichkeit fast schon nicht mehr von dieser Welt. Das scheinbare Ausblenden der Emotionen schafft eine irreale Feurigkeit, die sich hinter Gegenständen genauso verbergen kann, wie sie aus dem kalten Blick des Gegenübers zischt. – Kühl und heftig wie ein Beobachtungs-Western!

Philipp Röding, Die Stille am Ende des Flurs. Erzählungen.
Wien: Luftschacht 2013. 92 Seiten. EUR 16,90, ISBN 978-3-902844-26-2.

 

Weiterführender Link:
Luftschacht Verlag: Philipp Röding, Die Stille am Ende des Flurs

 

Helmuth Schönauer, 28-10-2013

Bibliographie

AutorIn

Philipp Röding

Buchtitel

Die Stille am Ende des Flurs

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Luftschacht Verlag

Seitenzahl

92

Preis in EUR

16,90

ISBN

978-3-902844-26-2

Kurzbiographie AutorIn

Philipp Röding, geb. 1990 in Stuttgart, lebt in Wien.