Thomas Losch, Der neiche Frisör hat ihr die letzten Hoa ausgrissen

Spätestens nach dem Zusammenbau eines Fertigteilmöbels weiß jeder, wie wichtig diese Schrauben und ihre bildhafte Gebrauchsanleitung sind.

Thomas Losch behandelt mit seinen Geschichten, Miniaturaufnahmen und grenzwertigen Dialogen jene Schrauben, mit denen das große Geräusch der Alltagskommunikation zusammengehalten wird. Unter dem sagenhaft grotesken Aufreger, der neue Friseur hat ihr die letzten Haare ausgerissen, tummeln sich Klagen, Beileidsbezeugungen und abgebrühte Kommentare.

Meistens sitzt das aufmerksame Ich wie in einer Undercover-Dokumentation bei einem Kaffee oder Aida-Gebäck, da nerven schon die Nachbarn, ihre Hunde machen sich selbständig und Touristen gehen falsch durch das harmonische Bild der Wiener Kaffeehaus-Tschecheranten.

Die einzelnen Satzbruchteile, oft wie ein Geständnis heraus gehechelt, beschreiben jeweils ein ganzes Lebensprogramm. „Mei Hund is a Diverl!“ / „Nie denkt sich so ein Hund so was wie: es wird schon werden!“ / „Was wäre die Welt ohne Sozialarbeiter.“ Aber nicht nur die Gespräche strotzen voller Botschaften, oft ist es auch ein ausgebleichtes T-Shirt, das alles erklärt: „Scheißen ist Arbeit!“ (102)

Verrückt geradlinig sind die Österreicher, wenn es ihnen ans Eingemachte geht und sie etwas wie ein historisches Bewusstsein vorgeben. Jemand hat eine wertvolle Garage mitten in der Stadt, die er noch vom Hitler gekriegt hat. Der Beobachter stellt sich vor, wie Hitler persönlich die Garage jemandem weggenommen und dem Parteifreund übergeben hat. An anderer Stelle sind einst ganze Siedlungen von unliebsamen Bewohnern niedergemacht worden und ein Bub zeigt stolz auf den historisch unmarkierten Hügel, der sich jetzt besonders gut zum Rodeln eignet.

Erzählt wird das alles aus der Sicht eines herumjausnenden Schriftstellers, der sich in der Hauptsache zwischen Brünn, Wien und Graz herumtreibt und überall diese sprachlichen Alltagsschrauben entdeckt, an denen die Zeitgenossen so unprätentiös drehen. Nach Graz fährt das beobachtende Ich beispielsweise nur, um in einem Bücherbus eine allein dort sitzende Bibliothekarin in einem Buch lesend zu sehen, die wahre Reise spielt sich dann wieder auf den Bahnhofsbuden und Zugrestaurants ab.

Die Miniaturen sind scheinbar aus Raum und Zeit herausgeschnitten, gerade deshalb sind sie wie Kalendersprüche authentisch, griffig und überall anwendbar. Dass jemand gerade ein „Rauberl“ gemacht hat, ist eine zeitlose Beschreibung für diese Alltagskriminalität, die aber gerade in Wien mit besonderem Sprachgefühl geadelt wird.

Thomas Losch schafft mit diesen Skurril-Episoden eine eigene Form der Alltagsgeschichtsschreibung. Jede noch so aberwitzige Nebenrolle in diesem Drama vom Fressen, Saufen, Verdrängen, Hunderl-Bussen, Pudern und Raunzen kriegt einen lebenswichtigen Satz, der vom Buch überspringt auf den Leser, der in Zukunft damit zurecht kommen muss.

Thomas Losch, Der neiche Frisör hat ihr die letzten Hoa ausgrissen. Literarische Momentaufnahmen aus Wien und anderswo.
Klagenfurt: Sisyphus 2014, 137 Seiten, EUR 12,80, ISBN 978-3-901960-78-9

 

Weiterführender Link:
Sisyphus Verlag: Thomas Losch, Der neiche Frisör hat ihr die letzten Hoa ausgrissen
Literaturport: Thomas Losch

 

Helmuth Schönauer, 24-05-2014

Bibliographie

Buchtitel

Der neiche Frisör hat ihr die letzten Hoa ausgrissen. Literarische Momentaufnahmen aus Wien und anderswo

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Sisyphus Verlag

Herausgeber

Thomas Losch

Seitenzahl

137

Preis in EUR

12,80

ISBN

978-3-901960-78-9

Kurzbiographie AutorIn

Thomas Losch, geb. 1943 in Mumbai, lebt seit 1949 in Wien.