Tor Ulven, Das allgemein Unmenschliche

Die Bilder, die wir Leser uns von einem Land machen, gehen oft auf ein einziges Buch oder die Schreibweise einer einzigen Autorin zurück. Dabei entpuppt sich diese reduzierte Sichtweise als wahr und gerecht zugleich.

Im Falle von Norwegen denkt man unwillkürlich an Tor Ulven, der mit seinen ins Unterbewusstsein einschießenden Prosazellen etwas evoziert, was wir mit Norwegen, Blockhütte, Psyche und Ibsen in Verbindung bringen.

In seinem einzigen ausführlichen Interview „Gegengift“ stellt er die wichtigsten Züge des Schreibens und Denkens vor. Es braucht für das Wesentliche kaum Eigennamen oder Ortsbezeichnungen, es gibt keine Dialoge und nur wenig Natur, die Satzzeichen dienen bloß dazu, das Tempo zu verringern. Krimis sind fad, weil ausrechenbar, und die sogenannte Volksaufklärung hat ihr Niveau so lange nach unten abgesenkt, bis daraus endgültig eine Aufklärungsparodie geworden ist. (198)

Der Autor bezeichnet seine Schriften als Gegengift und Antikörper gegen falschen Trost. Diesem Giga-Interview aus dem Jahre 1992 sind im Band „Das allgemein Unmenschliche“ zwei Prosasammlungen beigefügt.

In „Verzehr“ sind Dutzende kleiner Episoden aufgefädelt, die oft nur den Hauch einer Handlung aufweisen. So bleibt etwa ein Fernzug mitten in der Nacht auf offener Strecke stehen, und als sich der Ich-Erzähler und seine Abteil-Kollegin aus dem Fenster beugen, um zu sehen, was es gibt, gibt es einen kurzen Brustkontakt.

Dieses belanglose Erzählarrangement wirkt erst im Zusammenspiel mit ähnlichen Aufblendungen, dabei blinken diese Erzählblitze als Geheimcode auf. Diverse Erzähltreppen sind über Verweil-Überschriften wie ein Stiegenhaus angelegt, das nur in seltenen Fällen zur Evakuierung verwendet wird. Vergangenheit, Zwang, Imitation und Klage sind die einzelnen Stockwerke benannt, an denen die ausgelegten Kleinstgeschichten zu ersten Formationen zusammengefügt werden können.

In der Erzählung „Stein und Spiegel“ sind die Partikel als Vorstellungen, Ausstellungen oder Zwischenspiele ausgelegt. Die Sequenzen stehen wie Vitrinen herum und werden durch Ausgabe von Leitthemen zu Skulpturen, die je aus einem Drittel Bett, Boot und Grab bestehen.

Ein Stein-Ei ausbrüten! Nur der Mensch kann das! (95)

Situationen spalten sich in einen überrealistischen Minimalismus auf und entlocken dabei den Figuren die letzten Spurenelemente.

Die Kohlensäurebläschen leben in der Messerklinge neben dem Glas. Ich speise außerhalb dieser Stelle. (141)

Die Texte und Arrangements von Tor Ulven sind glasklar und dennoch nicht zu durchschauen. Dieser norwegische Autor bietet dem Leser, was wir eine norwegische Seele nennen. Tiefgang, Strenge, Aufklärung und Verhüllung. Das allgemein Unmenschliche ist wahrlich keine Linderung, aber ein schroffes Gegenmittel gegen alle Verniedlichung.

Tor Ulven, Das allgemein Unmenschliche. A. d. Norweg. von Bernhard Strobel. [Orig.: Fortaering, Prosastykke, Stein og Speil, 1991,1995].
Graz: Droschl 2014. 204 Seiten. EUR 22,-. ISBN 978-3-85420-957-7.

 

Weiterführende Links:
Droschl Verlag: Tor Ulven, Das allgemein Unmenschliche
Wikipedia: Tor Ulven

 

Helmuth Schönauer, 05-11-2014

Bibliographie

AutorIn

Tor Ulven

Buchtitel

Das allgemein Unmenschliche

Originaltitel

Fortaering, Prosastykke, Stein og Speil

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Droschl Verlag

Übersetzung

Bernhard Strobel

Seitenzahl

204

Preis in EUR

22,00

ISBN

978-3-85420-957-7

Kurzbiographie AutorIn

Tor Ulven, geb. 1953 in Oslo, setzte 1995 in Oslo seinem Leben ein Ende.