Tuomas Kyrö, Kunkku

Große Geschichte lässt sich auch als Gegenprobe erzählen, dabei wird das Nicht-Eingetretene genauso selbstverständlich erzählt wie das Eingetretene. Die sogenannte echte Geschichte wird dabei zuerst plastisch überhöht und dann auf das erträgliche Ausmaß reduziert.

Tuomas Kyrö erzählt die Geschichte Finnlands von 1947-2013 neu, als Bonus gibt es eine Weihnachtsgeschichte, die das Märchenhafte der Gegengeschichte unterstreichen soll. Finnland ist nämlich eine Monarchie, in der König Kunkku zuerst eine rabiate Nachkriegskindheit verbracht und schließlich das Zepter übernommen hat.

Die königlichen Kapitel dieser Geschichtsschreibung erkennt man daran, dass ihnen jeweils eine Krone aufgesetzt ist. Darin werden die Entwicklungen und Leiden eines Königs geschildert, den es mit einer frechen Geschlechtskrankheit genauso erwischen kann wie mit einem schlechten Bett in der Transsibirischen Eisenbahn auf dem Weg zu einem monarchistischen Rudeltreffen.

Diesem Königsschicksal ist der derangierte Lagerarbeiter Pena zur Seite gestellt, der manchmal als Komplementärmenge zum König, dann wieder als schizoide Abspaltung des Monarchen auftritt. Pena hat es meist mit prekären Situationen zu tun, familiär rennt alles aus dem Ruder und die Frauen halten nie, was die Hormone an Vorschuss gewährt haben. So wird Pena immer wieder über das Sozialamt lose in das System integriert, Ordnung muss sein, am besten beginnt man damit, den Mull mit Freude und Sinn zu entsorgen.

Genaugenommen leidet auch Kunkku unter einer prekären Dauersituation, denn König sein ist ein Scheiß-Job, den einem im schlimmsten Fall nicht einmal die Kinder abnehmen.

Die finnische Nachkriegsgesellschaft ist leger und pervers genug, um Typen wie den König und den Lagerarbeiter nicht nur gut auszuhalten sondern sich fallweise demokratisch davon mitsteuern zu lassen. Erst wenn man beschreibt, wie eine Gesellschaft an der Spitze und in der Tiefe aussieht, lässt sich erahnen, was die breite Mitte darin geleistet hat.

Finnische Edelqualitäten kommen seitenweise zum Vorschein, in Handarbeit wird ein Königsrennwagen Verrari gebaut, der durchaus bei allen Rallyes in Monarchien und anderen Forstweg-Staaten mithalten kann. Eine aufklärende Zeitung heißt der Grinser und erzählt für die finnische Gesellschaft mit einem leichten Sound, was freilich immer noch suizidal und erdenschwer wirkt.

Und Kennedy hat einst Finnland vor der Sowjetunion gerettet, indem er die Zauberformel los gelassen hat:

Isch bin ein Finnländer. (53)

Tuomas Kyrö erzählt mit verschmitzten langen Schritten, von denen manche Süd-Bewohner glauben, dass man damit hinter Rentieren her ist. Der Roman Kunkku ist eine phantastische Monarchie-Karikatur, eine Hommage an das moderne Finnland, worin für jeden Wahnsinnigen jeden Tag genug Erzählbrot vorhanden ist, um sich davon eine Scheibe abzuschneiden.

Tuomas Kyrö, Kunkku. Roman. A. d. Finn. von Stefan Moster. [Orig.: Kunkku, Helsinki 2013].
Hamburg: Hoffmann und Campe 2014. 575 Seiten. EUR 25,70. ISBN 978-3-455-40512-5.

 

Weiterführende Links:
Verlag Hoffmann und Campe: Tuomas Kyrö, Kunkku
Wikipedia: Tuomas Kyrö

 

Helmuth Schönauer, 26-10-2014

Bibliographie

AutorIn

Tuomas Kyrö

Buchtitel

Kunkku

Originaltitel

Kunkku

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Hoffmann und Campe

Übersetzung

Stefan Moster

Seitenzahl

575

Preis in EUR

25,70

ISBN

978-3-455-40512-5

Kurzbiographie AutorIn

Tuomas Kyrö, geb. 1974 in Helsinki, lebt in Helsinki.