Janine Wilk, Das Reich der Tränen
„Zu Hause hörte man selten Mias Lachen. Sie streifte es jeden Morgen an der Haustür über wie ihren Mantel, und wenn sie heimkam, hängte sie es wieder an den Hacken.“ (21)
Mia hat Schwierigkeiten in der Schule. Sie wirkt oft abwesend und liegt beim Lesen hinter ihren Mitschülern zurück. Ihre Klassenlehrerin vermutet, dass eine Konzentrationsschwäche vorliegt und schlägt Mias Eltern vor, mit ihrer Tochter die Schulpsychologin zu kontaktieren. Was jedoch niemand ahnt, ist, dass Mia unter den schrecklichen Launen und der Gewalt ihrer Mutter zu zerbrechen droht und nur ihre übergroße Fantasie ihr Leben noch erträglich macht.
Mias Mutter hat selbst als Kind unter ihrem autoritären Vater gelitten. Als Erwachsene macht sie ihren Mann, vor allem aber Mia für alle größeren und kleineren Fehlschläge verantwortlich. Auch wenn sie von ihrem Vater immer wieder ein tröstendes Wort bekommt oder er ihr manchmal vorliest, stellt er sich immer auf die Seite ihrer Mutter, aus Furcht die Zuneigung seiner Frau zu verlieren. Nur ihr junger Hund Goldi, ein Golden Retriever und ihre Freundin Emily bieten ihr einen emotionalen Halt.
Als letzten Ausweg, wenn sie von ihrer Mutter wieder einmal gemaßregelt und beschimpft worden ist, flüchtet Mia in ihre wunderbare Fantasiewelt, in der sie gegen die grausame Königin Zenoide kämpfen muss. Hier wird Mias bester Freund, der Kometendrache Goldiur, von den Jägern der Königin gefangen genommen und auf Zenoides Burg in Diadala festgehalten. Mia muss sich beeilen, um ihren Freund zu retten, weil Kometendrachen in Gefangenschaft nicht lange überleben können.
Ihr Lehrer Meister Frowin verrät ihr, dass sie nur mit Hilfe des „allmächtigen Schlüssels“ in die Burg der Königin gelangen kann. Der Schlüssel besteht aus vier Teilen, die sie in verschiedenen Regionen des Landes finden muss. Den ersten Teil erhält Mia von Meister Frowin, der auch den Zauber aktiviert, mit dem der Schlüssel am Ende verwandelt werden kann.
Trotz aller drohenden Gefahren und einer letzten Warnung macht sich Mia auf den Weg, um ihren geliebten Kometendrachen zu retten. Zu Beginn ihrer Reise trifft sie auf den Schattenmann, dessen Herz von der Frau die er liebte vergiftet worden ist, sodass nur mehr ein Schatten seiner selbst übrig geblieben ist. Der Schattenmann begleitet Mia von nun an überall hin, wo sie ihre Aufgaben bewältigen muss, um alle Teil des „allmächtigen Schlüssels“ zu finden und sich schließlich auf den Weg zur bösen Königin zu machen.
Geschickt verwebt Janine Wilk Realität und Fiction und lässt Mias Leiden im realen Leben in ihrer Fantasiewelt erneut durchspielen. Alle Figuren der Realität tauchen in verwandelter Form wieder auf. Sei es ihre Mutter, als böse Königin Zenoide, sei es der Schattenmann, der sich als ihr Vater erweist, der selbst nur noch ein Schatten seiner selbst ist oder auch ihr geliebter Hund Goldi, der Kometendrache ihrer Fantasiewelt.
Was Mia im richtigen Leben nicht gelingen kann, vollführt sie in ihrer Fantasiewelt: sie besiegt die böse Königin und erkennt ihre wahren Freunde und die wahren Werte des Lebens. Als hoffnungsvollen Ausblick erleben die Leserinnen und Leser Mia als erwachsene Frau, die selbst mit ihren Kindern im Garten spielt.
Mias Sieg über die böse Königin lag schon viele Jahre zurück. Zuerst hatte sie Zenoide in Diadala entmachtet und aus dem Reich der Tränen vertrieben, was Mia so viel Mut und Kraft verlieh, dass sie auch in der Realität immer stärker und selbstbewusster wurde, bis sie sich endlich befreien konnte. (216)
Ein überaus empfehlenswertes Buch über Gewalt an Kindern, die Macht der Fantasie und darüber, wie verletzlich und schutzbedürftig vor allem die jüngsten Mitglieder unserer Gesellschaft sind.
Janine Wilk, Das Reich der Tränen. Ill. v. Karin Lindermann, ab 11 Jahren
Stuttgart: Thienemann Verlag 2014, 224 Seiten, 13,40 €, ISBN 978-3-522-18389-5
Weiterführende Links:
Thienemann Verlag: Janine Wilk, Das Reich der Tränen
Homepage: Janine Wilk
Andreas Markt-Huter, 12-05-2014