Judith Gruber-Rizy, Zwischen Landschaft

Buch-CoverLandschaften werden meist deshalb aufgesucht, besungen und abgemalt, weil sie in ihrer Mannigfaltigkeit eindeutig sind. Voll in einer Landschaft aufgehen heißt so ein Gefühl, bei dem das Subjekt in einen klaren Zustand eintaucht.

In den Texten von Judith Gruber-Rizy liegen diese Subjekte meist zwischen den Landschaften. Jemand ist in der Stadt und denkt sich aufs Land, eine prägende Landschaft aus der Kindheit strahlt mit unmäßigen Signalen in die Erwachsenenwelt, oder eine Landschaft besteht überhaupt nur aus Zwischenräumen, mit welchen die Haltestellen einer Reise ausgefugt sind.

„Was immer fehlt in W. ist der klare Bezug zu klaren Jahreszeiten.“ (17) Jemand ist offensichtlich vom Land in die Stadt W. gezogen, aus der Erinnerung ziehen klare Bilder auf wie in einem Bilderbuch, es ist sauber Frühling Sommer Herbst und Winter, aber es gibt dennoch keinen Unterschied. Die Stadt legt sich als Lichtwerk über die Landschaften der Kindheit.

Die Figuren reden über ihre Landschaften der Erinnerung und versuchen so, etwas vom Leben zu erzählen. Was bedeutet es wirklich, wenn jemand in einen anderen Zustand aufbricht, ist er jetzt mobil, frei, am Ziel? Und welchen Preis zahlt man für diesen Aufbruch? Kann es sein, dass Menschen auf dem Weg in ihre Zukunft verloren gehen und zwischen den Landschaften der Glücksvorstellung landen?

In kleinen Erzählungen, Dokumentationen über Veränderungen, biographischen Mitschnitten kommt immer dieses Ungewisse ins Spiel, das sich zwar in Bildern beschreiben aber nicht fassen lässt.

Eine Spezialität des Reisens stellt das „Nichtreisen“ dar. Rosa beispielsweise bleibt am liebsten dort, wo sie ist, und geht in den botanischen Garten. Abgeschirmt zur Umgebung stellt dieser eine eigene nach innen gestülpte Landschaft dar. Alle Elemente eines großen Landstrichs sind in Nuce auf einem einzigen Blatt angesiedelt. Rosa verweigert sich vielleicht der Makrowelt durch ihre Nicht-Reise, aber im botanischen Garten kommt ihre wirkliche Welt mikroskopisch rein zum Vorschein.

Schriftstellerinnen nehmen die Umgebung oft über ihre Leserreisen wahr, eine Stadt ist schön oder kalt, je nach dem, wie sich das Publikum bei einer Lesung aufführt. Im literarischen Ranking posieren diese Orte voller Sensitivität in einer eigenen Sprache.

Hoch über der Donau mit Blick hinab auf die Stadt gelesen und diskutiert, Bekannte und Freunde gefunden, einige wieder verloren, andere behalten. (92)

Und die Megalandschaft, wenn es so etwas gibt, findet ohnehin in Büchern statt, eine Buchlandschaft ist nicht von dieser Welt und muss daher mit eigenen Verkehrsmitteln bereist werden. In der großen Stadt M. hat jemand Stifters Nachsommer als Landschaft hinterlegt, die Stadt ist nicht mehr wieder zu erkennen, Rosa sitzt darin und liest und liest, zwischen alle Zeiten und Orte hindurch.

Judith Gruber-Rizy stellt in ihren Texten einen über alle Dimensionen gespannten Raum vor, den wir Landschaft nennen. Beim Lesen hängen wir wie gierige Insekten in jenen Waben, die wir seit der Kindheit suchen und verlassen, bis wir uns zwischen diesen magischen Vorstellungswelten restlos verloren und gefunden haben.

Judith Gruber-Rizy, Zwischen Landschaft. Texte.
Ranshofen: edition innsalz 2006. 106 Seiten. EUR 15,50. ISBN 978-3-900050-88-7

 

Weiterführende Links:
Edition-Innsalz: Judith Gruber-Rizy, Zwischen Landschaft
Homepage: Judith Gruber-Rizy

 

Helmuth Schönauer, 09-02-2007

Bibliographie

AutorIn

Judith Gruber-Rizy

Buchtitel

Zwischen Landschaft

Erscheinungsort

Ranshofen

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

edition innsalz

Seitenzahl

106

Preis in EUR

15,50

ISBN

978-3-900050-88-7

Kurzbiographie AutorIn

Judith Gruber-Rizy, geb. 1952 in Gmunden, lebt in Wien.