Dimitri Prigow, Moskau-Japan und zurück

Buch-CoverWenn ein ehemaliger Untergrund-Autor so großen Wert darauf legt, dass sein Roman „non-fiction“ ist, dann spricht daraus bereits eine gewisse Lebenserfahrung im Umgang mit der so genannten Wahrheit.

Vordergründig handelt es sich bei Dimitri Prigows Text um einen Reisebericht. Der Ich-Erzähler landet in Japan und hat den starken Wunsch, das alles niederzuschreiben. So gibt es einen Start, der schlicht ‚Beginn’ heißt und die Lebensweisheit aus der Sowjetunion für Jugendliche zusammenfasst: Wenn Schlägertypen auftauchen, sagt man einfach geht weg, und die Typen gehen weg.

Diese Zauberformel gilt offensichtlich für alle schlechten Eindrücke und Erlebnisse. So folgen dem Beginn dreizehn Fortsetzungen, die im Stile eines großen Kulturführers Bonmots über Japan aufgreifen und durch Fortschicken gerade rücken. So lange ich der einzige bin, der Japan gesehen hat, kann ich darüber schreiben, was ich will, heißt es einmal ziemlich non-fiktional schräg gedacht.

Die Vorurteile über Japan sind geradezu sensationell infantil. So schwitzen die Japaner überhaupt nicht, weshalb sie auch nicht riechen. Beim Joggen rennen plötzlich geruchslose Typen an einem vorbei und als abgehängter Russe stinkt man bei diesem Überholmanöver gewaltig. Außerdem machen Japaner so gut wie keinen Müll, zumindest nennen sie ihn nicht so, wenn sie ihn trotzdem machen.

Aus dem kalten Krieg sind noch ehemalige Spione oder Kriegsgefangene im Umlauf, fragt man einen heimgekehrten Japaner, wie es in Sibirien gewesen ist, so sagt dieser hingerissen höflich: ‚ich bin mit der Kälte gut zurechtgekommen!’

Natürlich gibt es kaputte Wettkämpfe von Ying und Yang, die in der Show als Suomi Ringer auftreten. Im Zweifelsfalle ist in Japan alles Mythologie. Selbst ein Verhör hat mythologische Züge, wenn sich der Verhörte schließlich selbst richtet, natürlich in diskreter, zeremoniell stilvoller Weise. „Der Schuss war leise wie ein Fingerschnippen. Bloß ein paar Tropfen spritzten ins Gesicht des Leutnants. Der schlüpfrige Hauptinhalt quoll durch die Austrittsöffnung der Kugel aus dem Schädel.“ (191)

Tempel, Wirtschaftsskandale, Ackerbau, geographische Hürden beim Reisen, alles ist in Japan nebeneinander möglich, da das ganze Land nach einer anderen Logik aufgebaut ist. Je absurder die Beobachtungen werden, umso ähnlicher werden sie den Kindheitserlebnissen des Helden, der in der Sowjetunion das perfekte Absurdistan erleben durfte.

Dmitri Prigows groteske Reiseberichte in den eigenen Kopf eines Reisenden bringen die Sehgewohnheiten der eigenen Kultur ganz schön durcheinander. Frech, einsam, subversiv und voller eigenartiger Erklärungen reist der Ich-Erzähler durch einen Kosmos von Vorurteilen und macht sie in seiner eigenen Wirklichkeit fest: non-fiktional, versteht sich.

Dimitri Prigow, Moskau-Japan und zurück. Non-fiction. A. d. Russ. von Christiane Körner. [Orig.: Tolko moja Japonija, Moskau 2001].
Wien, Bozen: folio 2007. 269 Seiten. EUR 22,50. ISBN 978-3-85256-360-2.

 

Weiterführende Links:
Folio-Verlag: Dmitri Prigow, Moskau-Japan und zurück
Wikipedia: Dmitri Prigow

 

Helmuth Schönauer, 02-04-2007

Bibliographie

AutorIn

Dimitri Prigow

Buchtitel

Moskau-Japan und zurück

Originaltitel

Tolko moja Japonija

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

folio

Übersetzung

Christiane Körner

Seitenzahl

269

Preis in EUR

22,50

ISBN

978-3-85256-360-2

Kurzbiographie AutorIn

Dimitri Prigow, geb. 1940, ehemaliger Untergrunddichter, lebt in Moskau.