Colum McCann, Zoli

Buch-CoverKann man das Schicksal der Roma etwa gar mit dem bürgerlichen Erzählmittel der Buddenbrooks darstellen? Colum McCann scheint tatsächlich so etwas vorzuhaben, und es funktioniert auf der Oberfläche der Lektüre sogar.

Zoli ist eine Zigeuner-Dichterin aus der Gegend um Bratislava, die das geheimnisvolle Insiderwissen ihres Volkes ehrfurchtsvoll besingt, und dabei immer mit dem eigenen Leben und der politischen Lage in Verbindung bringt.

Mehr zerstörerisch durchbrochen als hilfreich gespiegelt wird diese Biographie durch einen englischen Zigeunerforscher, der seinen eigenen Spuren nachgeht und die Kultur der Roma als akademisch-literarischen Stoff für seine Analysen verwendet.

Der harte Kosename Zoli soll für Marienka eigentlich Schutz gegen alles sein. Großvater führt Zoli in die Technik des Lesens und Schreibens und in die Liebe zur eigenen Kultur ein und als Lehrmeister dient dabei ein Pferd, das immer scheißt, wenn etwas schlimm ist. Die Beschwörungsformel: „Pferd, scheiß!“ soll schlechte Sachen abwehren. Und schlechte Sachen gibt es mehr als genug.

Zoli überlebt den Holocaust, Identitätsfehden in der eigenen Sippschaft, das kommunistische Regime, die Zwangsverordnung zur Sesshaftwerdung von Zigeunern. Schließlich flüchtet sie durch das Österreich des Kalten Kriegens nach Italien, und irgendwo in Paris gibt es mit ihrer Tochter ein verhaltenes Treffen für sachte Generalreflexion. Vielleicht kann man nach so einem zerfransten Leben niemandem und keiner Zeit mehr trauen.

Colum McCann erzählt blumig romantisch. Überspitzt ausgedrückt schreibt er mit den erzählerischen Mitteln des späten 20 Jahrhunderts ein Operettenbuch über das Leben von Zigeunern, wie es früher einmal die einschlägigen Libretti geliefert haben.

Die Tage vergehen in wütender Leere. Der Himmel ist winterlich und schnell. Sie steigt die steile Böschung zum Ufer hinunter. Die Sonne glänzt auf dem dünnen Eis, wuchernde Kristalle umschließen die Gräser am Fluss. Sie geht zum Wasser, zieht einen Stiefel über die Hand und zerschlägt das Eis. Mit einem Stock stochert sie in dem Loch und schiebt die Bruchstücke beiseite, dann taucht sie die Hände in das eiskalte Wasser. (217)

Mit diesem Erzählduktus könnte man wahrscheinlich auch das Leben eines österreichischen Provinz-Bibliothekars aufregend gestalten. Schmückende Extravaganzen machen aus einem recht miesen Leben ein cineastisch luzides Erlebnis, wie eben in Filmen der Schmutz manchmal sehr schön auf die Filmgesichter geschmiert wird.

Im Nachspann bedankt sich Colum McCann bei Gott und der Welt für den Stoff, den er da während eines Stipendiums in der New York Public Library hat belletristisch weit schweifend bearbeiten dürfen. Es ist die alte Diskussion, darf man ein wildes Schicksal mit schönen Mitteln darstellen. Na ja, im Breitband des Erzählstroms liegt man sicher als Schriftsteller erfolgreich mit seinem zusammengelesenen Segel im Wind.

Wie die Geschichte einer Roma-Frau heftig, subkutan und ergreifend erzählt werden könnte, hat zur gleichen Zeit der österreichische Schriftsteller Ludwig Laher mit seinem Roman „Und nehmen was kommt“ bewiesen. Er legt die gleiche Geschichte unromatischer und lebensnaher an, bei ihm käme man nie auf die Idee, dass vielleicht die Buddenbrooks Pate für ein Leben am Rande der Gesellschaft gestanden haben könnten.

 

Colum McCann, Zoli. Roman. A. d. Engl. Von Dirk van Gunsteren. [Orig.: „Zoli“. London 2006]
Reinbek: Rowohlt 2007. 382 Seiten. EUR 19,90. ISBN: 978-3-498-04489-3.

 

Weiterführende Links:
Rowohlt-Verlag: Colum McCann, Zoli
Wikipedia: Colum McCann

 

Helmuth Schönauer, 27-04-2007

Bibliographie

AutorIn

Colum McCann

Buchtitel

Zoli

Originaltitel

Zoli

Erscheinungsort

Reinbek

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Rowohlt

Übersetzung

Dirk van Gunsteren

Seitenzahl

382

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-498-04489-3

Kurzbiographie AutorIn

Colum McCann, geb. 1965 in Dublin, lebt in New York.