Wolfgang Pollanz, Das Seufzen meiner Mutter

Buch-CoverEin aufregendes Leben beginnt üblicherweise mit einer Sturzgeburt, während die Mutter seufzt.

Wolfgang Pollanz nimmt die Kunst der literarisch aufgeblasenen Selbstbiographie äußerst wörtlich und stellt in sechs Episoden ausgewiesene Helden vor, die als Icherzähler letztlich alle vom Zeitgeist erzählen, der durch die Republik Österreich weht.

Schon in der ersten Geschichte verliert sich ein inkontinenter Erzähler im eigenen Harn. Das Leben ist gelaufen, die Blase tuts nicht mehr und mit der Blase rinnt auch quasi das Hirn aus. Ein Leben voller Selbstzweifel tut sich auf, denn letztlich ist alles ungerade abgelaufen.

Die Mutter hat den Helden mehr zufällig als irgendwie mit Absicht auf die Welt gebracht, das Dorfleben ist zu einer einzigen Scham verklumpt, immerhin haben die Stützen der Gesellschaft Sex mit der Mutter getrieben, eine Affäre mit dem Kaplan hat dem Ganzen den Gupf aufgesetzt, und der Erzähler fühlt sich durchgehend schuldig, dass er als ein Kind solcher österreichischer Dorfsexualität auf die Welt hat kommen müssen.

In einer anderen Erzählung entgleist das Leben in politisches Biedermeier, während die Kleinfamilie den Alltag auf die Reihe zu bringen versucht, seufzt die Mutter bei jeder Gelegenheit. Der Vater versucht ein tapferer österreichischer Sozialist zu sein, dem aber die Parteibonzen das Leben schwer machen. Höhepunkt für den Erzähler ist die Wahl eines Depperten zum Bundeskanzler, erst Jahre später stellt sich heraus, dass der Depperte Klaus geheißen hat.

In einer weiteren skurrilen Episode ist der Erzähler ist mit sechs Zehen an einem Fuß auf die Welt gekommen, offensichtlich ist ein nach der Geburt verstorbener Zwillingsbruder schuld an dieser Mini-Monstrosität, die letztlich sehr österreichisch wirkt.

In fast allen Erzählungen ist der Vater Lehrer, der das Leben didaktisch in die Hand nimmt und auf den Kopf stellt. Unter dem pädagogisch klugen Titel „Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere neun Planeten“ versucht der Erzähler das Universum zu begreifen. Bereits während der Schwangerschaft wurde dieser Held mit Wissen beschallt, so dass er bereits als fertiges Wissenstier auf die Welt gekommen ist. Natürlich ist nicht alles, was so ein Lehrer von sich gibt, für das Leben notwendig, aber ein Lehrerleben besteht nun einmal aus Erklärungen, Abschweifungen und abermals Erklärungen.

Wolfgang Pollanz erzählt treuherzig mit großem Augenaufschlag und hofft inbrünstig, dass diese didaktisch wertvollen Erzählungen vielleicht einmal den Sprung in ein Lesebuch schaffen könnten. Aus dieser grotesken Erzählhaltung heraus entsteht ein Realismus, der dem Verhalten der Österreicher sehr nahe kommt, wenn sie mit heroischen Alltagsgeschichten konfrontiert werden. Weil es im Buch steht, muss es wohl wahr sein, heißt die Parole.

Freilich gibt der Autor im Abspann zu, dass er nicht der Ich-Erzähler ist, denn in Wirklichkeit ist er bei allen schaurigen Szenen der Popgeschichte anwesend gewesen, bei der Ermordung John Lennons, bei der ersten Plattenaufnahme von Elvis, hat Lou Reeds im entscheidenden Augenblick die Sonnebrille geliehen und mit Bob Dylan ein Schimpfwort getauscht.

Durch diese Anmaßung des Autors, ein Anwesenheitsgenie der Szene zu sein, erlangen die Erzählungen erst die richtige Reife an Glaubwürdigkeit. Denn wenn der Autor in seiner eigene Biographie so übertreibt, müssen seine Erzählungen ja förmlich wahr sein. – Eine reife Leistung zwischen Fake, Fun und literarischem Tumult.

Wolfgang Pollanz, Das Seufzen meiner Mutter.
Klagenfurt: Kitab 2007. 145 Seiten. EUR 15,-. ISBN 978-3-902005-26-70.

 

Weiterführende Links:
Kitab-Verlag: Wolfgang Pollanz, Das Seufzen meiner Mutter
Homepage: Wolfgang Pollanz

 

Helmuth Schönauer, 05-07-2007

Bibliographie

AutorIn

Wolfgang Pollanz

Buchtitel

Das Seufzen meiner Mutter

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Kitab

Seitenzahl

145

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-902005-26-7

Kurzbiographie AutorIn

Wolfgang Pollanz, geb. 1954 in Graz, lebt in Wies, Steiermark.