Oswald Egger, nihilium album

Buch-CoverAn manchen Tagen hat man als einer von sechs komma sechs Milliarden Erdbewohnern den Eindruck, in einer globalen Erd-Soße zu stecken, welche sich mit wenigen Begriffen beschreiben lässt.

Dann freilich wieder gibt es Bücher, die zum Teil Soßencharakter aufweisen aber immerhin so etwas wie eigene Kultur-Phantasie durchschimmern lassen. Und dann gibt es diese Ereignisse voller Individualität, denen man einen Vormittag lang einfach baff gegenübersteht.

Oswald Egger ist so ein Verblüffungsereignis. In seiner Lieder & Gedichte-Sammlung nihilium album inklusive CD verstört er den Leser vorerst einmal, indem er jede Erwartungen untergräbt. Der Titel scheint im flüchtigen Anblick so etwas wie ein "Album vom Nichts" zu dokumentieren, ähnlich wie es die Beatles seinerzeit auch mit dem "weißen Album" leicht ironisch bewerkstelligten. Aber bei Oswald Egger kommen unter diese simplen Ersterklärungen mit der Zeit ganze Würste von Zusatzbedeutungen hinzu. Im Klappentext wird etwa darauf hingewiesen, dass sogenannte Zinkblumen "nihilum album" genannt werden.

Wenn man als Leser dieses geheimnisvolle Buch aufschlägt, ist man mit Tausenden von Vierzeilern konfrontiert, die im Schriftbild einer alten Handschrift ähneln, wo man auch manchmal Platz sparend vierspaltig die glatte Prosa des Daseins zu sprengen versuchte.

Eine mitlaufende Headline ordnet diese Orgie von Vierzeilern. Nummerisch ist offensichtlich ein Jahresablauf aufgesplittet, 3.15.8 könnte etwa den fünfzehnten März von mir aus acht Uhr bedeuten.

Der Flußtrog / am Brunnen, / ein roter Knäuel / rollt in den Winter. // Hol Schnee / in den Keller / die Sonne knöchern / den faulen Lenz // Kleine Korb- / Bachweide, Holder- / Wald-Haarchen, die / wie Nissen, Ährspeltz. // Auf einem Zaun / vierzig Kiefern / Rücken, wie / die Kletten. (35)

Nach jeweils zehn Portionen gibt es eine graphische Struktur, die wie ein kopfloses Strichmännchen durch die Lyrik purzelt.

Das gemeine Jahr lässt sich somit aufschlüsseln, die einzelnen Zeilen fransen aberwitzig ins Gelände und strukturieren dabei den Zeitabfluss in einer völlig ungewöhnlichen Weise. Einerseits werden alte Sprüche und Floskeln ausgegraben, andererseits Adern in die Zukunft aufgedeckt, von denen bisher niemand eine Ahnung hatte.

Schiebt man die CD ein, hört man vor allem Geröchel. Erst beim wiederholten Anhören kommen daraus akustische Runen hervor, die an Schamanengesänge erinnern.

Oswald Eggers Werk ist keine leichte Zufallskost, die man da aus dem Buch schüttelt. Aber seine hermetisch von uns Lesern abgeschlossene Werks-Welt ist faszinierend und streckt immer wieder Hände nach uns unbedarften Lesern aus. Und wir drücken diese Hände zurück und sind dankbar, dass es etwas magisch Verrücktes gibt, das jeden von uns zum Individuum macht, wenn wir es lesen.

Oswald Egger, nihilium album. Lieder & Gedichte. 1 CD.
Frankfurt/M: Suhrkamp 2007. 150 Seiten. 22,80. EUR. ISBN 978-3-518-41871-0.

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp-Verlag: Oswald Egger, nihilium album
Lyrikwelt: Oswald Egger

 

Helmuth Schönauer, 15-12-2007

Bibliographie

AutorIn

Oswald Egger

Buchtitel

nihilium album. Lieder & Gedichte

Erscheinungsort

Frankfurtn a. M.

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Suhrkamp

Seitenzahl

150

Preis in EUR

22,80

ISBN

978-3-518-41871-0

Kurzbiographie AutorIn

Oswald Egger, geb. 1963 in Lana, lebt in Wien und Hombroich.

Themenbereiche