Friedrich Hahn, Egal

Buch-CoverDas kürzeste Lebensprogramm lässt sich meist mit einem Seufzer zusammenfassen: "Egal". Die Steigerung ist naturgemäß scheissegal.

In Friedrich Hahns Therapie-Roman kommt diese Seufzer-Orgie der Hauptperson Tina auch sofort über die Lippen, so bald sie dem Bewährungshelfer Harald erzählen soll, was mit ihr los ist.

mir ist es scheissegal! egal!! scheissegal!!! (17)

Die Rollen sind klassisch verteilt, Tina hat ihr Neugeborenes zu Tode gebracht und acht Jahre ausgefasst, jetzt ist sie frei und siebenundzwanzig und soll mit Hilfe der Bewährungshilfe wieder in die Welt zurückfinden. Harald hingegen, der in Wirklichkeit ein handfester Eigen-Therapeut mit Lebenserfahrung ist, ist nur zufällig auf der anderen Seite, er ist Alleinerzieher und auch bei ihm ist ziemlich viel schief gelaufen. Jetzt finden die beiden zu einander und brechen bald einmal das eiserne Tabu jeder Therapie, sie verlieben sich, oder tun zumindest so, als ob es sie emotionell erwischt hätte.

Was ist nun das wirkliche Leben? Wo sitzt das Glück? Welche Spielregeln muss man einhalten, um zum Lebenssinn vorzustoßen?

Die oberste Faustregel scheint zu besagen, dass vor allem Aktivität gefragt ist. Also Arbeit suchen, Wohnung einrichten, die Abende mit Gesprächen und leichtem Sex ausgestalten. In dieser Flut von kleinen Tätigkeiten fällt das Wort "egal" immer seltener und allmählich wird das Leben zur Therapie und die Therapie zum Leben.

Als Leser erfahren wir viel über die Geschäftigkeit von Bewährungshelfern und Therapeuten und den Bewegungsdrang der Klientinnen, die sie vor sich her treiben. Die Stadt Wien ist nicht nur in Bezirke eingeteilt sondern auch in Geschäftsfelder, ähnlich wie die Sehenswürdigkeiten der Stadt sind auch die Sinnpunkte ausgebreitet, die es anzufahren gilt.

Allmählich entwickeln Klientin und ihr Therapeut ein fast normales Liebesleben, das nur selten gestört wird. "Schade um die schöne Erektion" (76), jammert Tina, wenn das Handy zur Unzeit losgeht.

Auch äußerlich kriegt das Leben allmählich Kontur, als Tina den Nachlass ihres Vaters herausgibt, der zu Lebzeiten mit dem Tiroler Haymon Verlag korrespondiert haben soll.

Und jäh, wie der Fall aufgetaucht ist, verschwindet er wieder. Tina hat offensichtlich das echte Leben gefunden, sie verschwindet aus dem Gesichtsfeld des Bewährungshelfers und aus dem Roman ohne Kommentar. - Egal.

Friedrich Hahn erzählt eine scheinbar alltäglich Geschichte dadurch aufregend, dass er den Fall möglichst cool hält. Die Therapie ist eine straffe Hülle, um darin die kochenden Seelen strukturiert zu Wort kommen zu lassen. Und wie es letztlich keinen Plan für das gelungene Leben gibt, gibt es auch von vorne herein keine gelungene Therapie, zu viele Zufallskomponenten spielen eine Rolle. Egal ist schließlich ein passabler Lebensinhalt, etwas frei übersetzt könnte man es ja mit "ausgeglichen" übersetzen. - Ein klug erzähltes Programm!

Friedrich Hahn, Egal. Roman.
Wien: Verlag der Apfel 2007. 100 Seiten. EUR 19,80. ISBN 978-3-85450-132-9.

 

Weiterführende Links:
Verlag der Äpfel: Friedrich Hahn, Egal
Homepage: Friedrich Hahn

 

Helmuth Schönauer, 31-12-2008

Bibliographie

AutorIn

Friedrich Hahn

Buchtitel

Egal

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Verlag der Apfel

Seitenzahl

100

Preis in EUR

19,80

ISBN

978-3-85450-132-9

Kurzbiographie AutorIn

Friedrich Hahn, geb. 1952 im Waldviertl, lebt in Wien.

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