Mariusz Szczygiel, Gottland

Buch-CoverAlles was Karel Gott besingt, ist Gott-Land. Kein Wunder also, wenn man ein Museum zu seinen Ehren Gottland nennt, welches das Publikum aus dem Häuschen bringt, wie Elvis in Memphis seinen Fans aus dem Jenseits heraus die Tränen der Rührung über die Wangen träufelt.

Ein polnischer Journalist macht sich in diesem Reportagen-Band auf, seine direkten Nachbarn in Tschechien ein wenig auf den Zahn zu fühlen und ihnen jenen grotesken Spiegel andersrum vorzuhalten, für den die Tschechen ja weltberühmt sind.

So will eine Stipendiatin in Prag Genaueres von Franz Kafka wissen, aber man speist sie mit dem Wort "Kafkárna" ab, das sich zu einem Tabu-Wort entwickelt hat. Zwar darf man es aussprechen, aber nicht nach dem Sinn fragen, oder man gibt ihm einen Sinn, dann darf dieses groteske Unwort aber nicht ausgesprochen werden.

In der Kurzreportage "Verwandlung" wird von einer Theateraufführung berichtet, in der sich der Held nicht nur in einen Käfer verwandelt, sondern in diesem Outfit auch noch zur Arbeit fährt.

In der Wirtschaftswelt Bata entwickelt sich ein Staat im Staat, die Grundidee seines Erfinders ist recht einfach, jeder Mensch braucht Schuhe. Wenn man davon ausgeht, dass vor allem zu Kriegszeiten besonders viele Schuhe produziert werden müssen, weil ja enorm viel marschiert wird, dann erklärt sich bald einmal das Erfolgsgeheimnis von Bata. In einer schier unglaublichen Erfolgsgeschichte verwandelt sich allmählich die Welt zu einem Bata, worin soziale Ungereimtheiten ausgeglichen werden und beinahe etwas wie ein Paradies der Arbeitswelt entsteht.

Immer wieder spielt die jüngere Zeitgeschichte eine besondere Rolle. So muss quasi über Nacht ein Stalin-Denkmal am Hügel vor Prag entfernt werden, weil es sein historisches Ablaufdatum erreicht hat. Zwar muss man dieses Denkmal sprengen, aber es darf nicht pietätlos geschehet. So gibt es die skurrile Parole, keinen Sprengstoff in den Kopf von Stalin bitte!

Die tschechische Geliebte von Goebbels hat nach dem Ende der Naziherrschaft ziemliche Schwierigkeiten, im neuen Staat Fuß zu fassen, aber es gelingt ihr, diese Liebe herunterzuspielen, nach Salzburg zu fliehen und zu überleben.

Auch die Schlüsseljahre 1968 und 1989 zwingen die Protagonisten zu den seltsamsten Verrenkungen, um an der jeweiligen Nahtstelle zur neuen Epoche unbeschadet durchzuschlüpfen. Geradezu prophetisch fällt eine Neujahrskarte 1968 zum missglückten Prager Frühling aus, indem der Setzer einfach die Zahlen vertauscht und somit prognostisch 1989 als das nächste glückliche Jahr ausruft.

Mariusz Szczygiels sogenannte Reportagen verspreizen sich wundersam in der Kluft zwischen Realität und Fiktion, sie entwickeln selbst eine solche Erzählkraft, dass sie mal den Felsen der harten Wirklichkeit, mal jenen der brutalen Fiktion scheinbar mühelos auseinandersprengen.

Und Karel Gott, der Nationalheld der Tschechen, gewinnt unabhängig vom jeweiligen Regime einen Preis nach dem anderen und besingt auch die Biene Maja, wenn es sein muss.

Mariusz Szczygiel, Gottland. Reportagen. A. d. Poln. von Esther Kinsky. [Orig.: Gottland, 2006].
Frankfurt/M: Suhrkamp 2008. 271 Seiten. EUR 19,80. ISBN 978-3-518-41966-3.

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp-Verlag: Mariusz Szczygiel, Gottland
Homepage: Mariusz Szczygiel

 

Helmuth Schönauer, 26-05-2008

Bibliographie

AutorIn

Mariusz Szczygiel

Buchtitel

Gottland

Originaltitel

Gottland

Erscheinungsort

Frankfurt a. M.

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Suhrkamp

Übersetzung

Esther Kinsky

Seitenzahl

271

Preis in EUR

19,80

ISBN

978-3-518-41966-3

Kurzbiographie AutorIn

Mariusz Szczygiel, geb. 1966, lebt in Warschau.