Reinhard Kaiser-Mühlecker, Der lange Gang über die Stationen

Buch-CoverKann man in der Einöde eine Ehe über die Bühne bringen und führt nicht jede Ehe in die Einöde?

Der Jungbauer Theo hat geheiratet, seine Frau kommt aus der Stadt, langsam wird sie in die Landwirtschaft und in das Leben auf dem Land eingeführt. Wie die Stationen eines Kreuzwegs geht es an markante Stellen des Anwesens, zum Steinbruch, an die Grundstücksgrenzen. Schon in diesem ersten Austesten entsteht so etwas wie "der lange Gang über die Stationen".

Noch ist der Ich-Erzähler stolz auf seine Frau, wortlos liebt er sie, und ist wieder und wieder stolz auf sie und ein bisschen glücklich. Dann aber geht alles seinen langen Gang. Der Hof muss revitalisiert werden, der Bauer nimmt einen Kredit auf, der ihm über den Kopf wächst und ihn ruinieren wird.

Der Jäger sperrt sich in der Hütte beim Steinbruch ein und erschießt sich. Ein Tagelöhner bleibt nur kurze Zeit und verschwindet im entscheidenden Augenblick. Die Frau hat vielleicht einen Geliebten, dunkle Spuren führen in eine frühere Beziehungskiste, aber es bleibt alles verschlossen und geheimnisvoll.

Allmählich tritt die Schnapsflasche in den Vordergrund und Theo kübelt sich immer öfter auf die Seite. Die Tristesse erreicht ihren Höhepunkt, als sich der Nachbar aufknüpft. Niemand will mit dem Selbstmörder etwas zu tun haben, der Pfarrer verweigert die Einsegnung und in einer der erbärmlichsten Szenen der Weltliteratur wird der Unglückliche ohne Sarg auf seinem Grundstück vergraben, bloß drei verlorene Menschen stehen um das Grab herum.

Am Schluss löst sich der Held von seiner Frau und seinem bisherigen Leben und geht im puren Wald auf.

Mit dem Eintreten in den Wald wurde das Licht ein anderes. An den Händen klebte Erde. Unter den Fingernägeln steckte der Dreck. Was hätte ich ihr in diesem Moment, in dem es nichts mehr zu sagen gab, noch sagen sollen? Und ich ging noch tiefer in den Wald hinein, den Tabakbeutel in der Hosentasche und die Flasche mit dem klaren Schnaps in der kalten Hand. (158)

Reinhard Kaiser-Mühlecker schenkt seinem Ich-Erzähler nichts. Knapp und ohne Wehmut kommentiert der tragische Held die Lage aus der Innen-Perspektive. Wo es nichts zu verändern gibt, muss der Schnaps die Veränderung vorspielen. Der lange Gang ist eine abgebrühte Alltags-Tragödie, wie sie sich in den 1950er Jahren wohl tausendfach am offenen Land abgespielt hat.

Eine wortlose Liebe, ein überteuerter Kredit, miese Zukunftsperspektiven, Einsamkeit, Schnaps, Verglühen des Bewusstseins: das sind diese Stationen, die auch der ausdauerndste Waldgänger nicht überleben kann. - Eine ungeheuer berührender Roman, in den man als Leser immer wieder eingreifen möchte, um den Erzähler vor sich selbst zu retten.

Reinhard Kaiser-Mühlecker, Der lange Gang über die Stationen. Roman.
Hamburg: Hoffmann und Campe 2008. 158 Seiten. EUR 17,-. ISBN 978-3-455-40104-2.

 

Weiterführende Links:
Hoffmann und Campe-Verlag: Reinhard Kaiser-Mühlecker, Der lange Gang über die Stationen
Wikipedia: Reinhard Kaiser-Mühlecker

 

Helmuth Schönauer, 08-07-2008

Bibliographie

AutorIn

Reinhard Kaiser-Mühlecker

Buchtitel

Der lange Gang über die Stationen

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Hoffmann und Campe

Seitenzahl

158

Preis in EUR

17,00

ISBN

978-3-455-40104-2

Kurzbiographie AutorIn

Reinhard Kaiser-Mühlecker, geb. 1982 in Kirchdorf an der Krems, lebt in Wien.

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