Erika Kronabitter (Hrsg.), Morgenbetrachtung

Buch-CoverUnter Morgenbetrachtung stellt man sich landläufig ein paar besinnliche Sätze vor, die philosophisch einwandfrei vorgetragen ein Tagespublikum beim Aufstehen erheitern sollen.

Im "Projekt Morgenbetrachtung" von Erika Kronabitter hingegen müssen die frisch aufgestandenen Personen sich selbst im Spiegel aushalten und unter diesem erstarrten Gefühl verweilen, bis sich die ersten Gedanken zum frischen Tag einstellen.

Unter anderem sind an die fünfzig Schriftstellerinnen und Schriftsteller für dieses Projekt meist unter Schock aufgestanden und haben sich anschließend unfrisiert und ungeschminkt sofort mit einer Selbstauslösekamera abgebildet. Die dabei entstandenen Porträts sind völlig unverfälscht. Wenn es so etwas wie ein nacktes Gesicht gibt, hier ist es!

Diese ungeschminkten Gesichter eröffnen einen völlig neuen Zugang zu den Texten der Autorinnen und Autoren, sind wir es doch gewohnt, diese Heldinnen der Produktion mit dem ästhetischen Blick voller Marketingschlieren zu betrachten. Bei Lesungen tauchen immer pressetauglich geschminkte Gesichter auf, am Cover der Bücher kleben Plastilin-ähnliche Modell-Faces, in Talk-Shows werden alle Falten der Protagonistinnen weggeleuchtet.

Im Projekt "Morgenbetrachtung" jedoch sehen wir diese Urgesichter müde und unschuldig wie am ersten Tag der Schöpfungsgeschichte.

Zu diesen Gesichtern gibt es passende Texte. Es wird die vergangene Nacht reflektiert, manchmal geht es um pures Entsetzen, dass der neue Tag schon angebrochen ist, jemand hegt einen Hoffnungsschimmer, dass die Sache mit dem Gesicht noch gut ausgehen könnte.

Nils Jensen beispielsweise nennt seine ersten Morgengedanken Traumzeichnen.

Ein Blick im Hinternkopf / Vielleicht / Oder kein Blick ein Wimperlschlag / Der meine Kopfhaut sengt oh gestern Nacht / Der Rechtsstaat eine Farce / Du murrst schon wieder / In aller Früh geh Zähneputzen (75)

Ähnlich individuell stellen die anderen Autorinnen dieses Bandes sich selbst und den Tag in Frage, um sich dann wenigstens mit einer Hälfte dieser Auseinandersetzung zu versöhnen, unter anderem sind dies Petra Ganglbauer, Ilse Kilic, El Awadalla, Judith Gruber-Rizy, Rolf Schwendter, Gerhard Ruiss, Günter Vallaster oder Christian Futscher.

Damit der Blick des Lesers gerecht auf die Texte der Morgengesichtsträger fällt, sind sie in der Reihenfolge des umgekehrten Alphabets angeführt. Mini Biblio-Biographien beschließen den Band.

"Zerknittert so schnell überschreibt die Herausgeberin Erika Kronabitter ihren eigenen Beitrag. Und darum geht es in diesem wunderbaren Bildband. Man muss als Leser genau und penetrant hinschauen, damit diese frechen Tageseinstiege nicht vorschnell von der glatten Tagesfläche weg gebügelt werden. Eine wunderbare Tageseinstimmung.

Erika Kronabitter (Hg.), Morgenbetrachtung. Verweilen im Gesicht. Texte. Fotos.
Hohenems: Bucher Verlag 2008. 126 Seiten. EUR 24,-. ISBN 978-3-902612-54-0.

 

Weiterführende Links:
Homepage: Erika Kronabitter
Bucher-Verlag: Erika Kronabitter (Hg.), Morgenbetrachtung

 

Helmuth Schönauer, 25-09-2008

Bibliographie

AutorIn

Erika Kronabitter (Hrsg.)

Buchtitel

Morgenbetrachtung. Verweilen im Gesicht

Erscheinungsort

Hohenems

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Bucher Verlag

Herausgeber

Erika Kronabitter

Illustration

Erika Kronabitter

Seitenzahl

126

Preis in EUR

24,00

ISBN

978-3-902612-54-0

Kurzbiographie AutorIn

Erika Kronabitter, geb. 1959 in Hartberg, lebt in Feldkirch.

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