Matthias Politycki, Die Sekunden danach

Buch-CoverDas ist wahrlich eine intensive Zeit, wenn etwas passiert ist und erst allmählich die passende Sprache für das Geschehen einsetzt.

Matthias Politycki greift sich jene Sekunden heraus, die auf Schrecken, Unglück, Sturmbö oder Glück folgen. Dabei können diese Sekunden durchaus eine unendlich lange Zeit werden, wie ja auch die sogenannte Schrecksekunde oft ein Leben lang anhält.

Den sechs Gedichtzyklen ist ein programmatisches Gedicht über das Unglück vorausgestellt. Darin widerfährt der lyrischen Figur ein "Ereignis", das das Herz zum Pochen bringt. Und noch Wochen später wimmert etwas im Nebenraum, ehe die Figur merkt, dass sie es selber ist, die raum- und zeitlos wimmert.

Die 88 Gedichte sind manchmal als Sonett ausgebildet, manchmal als graphischer Trichter, der das Leserauge unbarmherzig nach unten zieht, manchmal sind es auch prosaische Einwürfe, die sich als Gedicht verkleiden und verlässlich taucht ein tölpelhafter Mundartsprecher auf, der die Weltlage im Sinne eines entlegenen Biertisches kommentiert.

Stammtisch-Unruhe nennt sich dieser Zustand, worin die Welt sich bis auf den Blickwinkel eine Fliege verkleinert.

Am leichtesten lassen sich für den Stammtisch die Prosagedichte nacherzählen, worin etwa die Freier in einem kanadischen Bordell mit heißen Münzen auf die Damen zielen, in einer mexikanischen Bar mit dem Getränk jeweils ein Goldfisch hinunter geschlürft wird oder in einer französischen Disco ein Zwerg darauf besteht, in die Luft geworfen zu werden, weil er sonst arbeitslos würde und gedemütigt von der Sozialhilfe leben müsste. Die Traurigkeit im Kleingedruckten, nennen sich diese abenteuerlichen Sequenzen, worin die Handlung zu Lyrik erstarrt.

Ein Schluck Rauch und Nebel, wilder Rhabarber, Reich der Lichter, Rosenkranz drauf und fertig, weshalb es im Paradies so gerne regnet, Gebell mit dunkelroter Scheune nennen sich die Zyklen, die vom Reisen, religiösen Gefühlen, ungezähmter Natur und permanenter Sehnsucht handeln.

Je gleichförmiger und glücklicher die Tage, desto schneller zergehen sie dir zwischen den Zeilen... (117).

Gerade beim Schreiben können schöne Tage ein Fluch sein, ehe man einatmet ist schon wieder alles vorbei.

Matthias Politycki gleicht in seinen Gedichten oft einem Autostopper, den niemand mitnimmt. Das Vorbeisausen der Zeit, der schroffe Windstoß, während man den Kopf wendet, die Sekunden danach! Das ist dieses schöne Timing der Erlebnislust, die nie aufhört.

Matthias Politycki, Die Sekunden danach. 88 Gedichte.
Hamburg: Hoffmann und Campe 2009. 123 Seiten. EUR 18,50. ISBN 978-3-455-40145-5.

 

Weiterführende Links:
Hoffmann und Campe: Matthias Politycki, Die Sekunden danach
Homepage: Matthias Politycki

 

Helmuth Schönauer, 06-03-2009

Bibliographie

AutorIn

Matthias Politycki

Buchtitel

Die Sekunden danach. 88 Gedichte

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Hoffmann und Campe

Seitenzahl

123

Preis in EUR

18,50

ISBN

978-3-455-40145-5

Kurzbiographie AutorIn

Matthias Politycki, geb. 1955, lebt in Hamburg und München.