Kurt Bracharz, Für reife Leser
Wahrscheinlich die eleganteste Verhöhnungsformel im Literaturbetrieb nennt sich "Für reife Leser". Darin wird unterschwellig suggeriert, dass ein bestimmtes Buch eigentlich nur von Lesevolltrotteln oder Lesekomikern rezipiert werden kann.
Kurt Bracharz greift diese freche Empfehlungsformel über die Zumutbarkeit von Literatur mit Genuss auf und überschreibt damit sein Lektüreprojekt.
In einer Schreibkrise, die so um die fünfzig jeden halbwegs normalen Dichter heimsucht, bleibt dem Autor nämlich nur die Lektüre, wenn er nach dem täglichen Verfassen einer Glosse regelmäßig an Motivationsmangel zusammengebrochen ist.
Verschärft wird diese Bracharz-Krise offensichtlich dadurch, dass der elektronische Notizblock Psion kaputtgegangen ist und nicht mehr hergestellt wird.
Kurt Bracharz setzt sich also vor sein Konzeptpaper und beschließt, jeden Monat ein Buch zu lesen und ausführlich darüber zu schreiben.
Gelesen werden also unter anderem William Burroughs, The Naked Lunch, Wilhelm Busch, Der Schmetterling, Elias Canetti, Die Blendung oder Don Delillo Mao II. Die Bücher fließen nach bewährter Rhizom-Theorie im Hirn des Lesers durcheinander und wuchern zu einem kreativen Myzel aus.
Dabei kommt es zu scheinbar lächerlichen Störungen, wenn etwa kein Übersetzer auftaucht:
Entweder bin ich blind oder in diesem Buch ist tatsächlich nirgendwo der Übersetzer angegeben. (20) kurz danach werden aber schon wieder die besten Hinrichtungssorten dargestellt (25). Gute Lektüre besteht also darin, dass das Erhabene und das Läppische, das Tragische und das Frivole ungebremst miteinander in Kontakt treten.
Für Kurt Bracharz entwickelt sich das Jahr zu einem tollen Erlebnis, tapfer setzt er jeden Tag seine Lese-Mitschrift fort, oft gibt es Kommentare über Lust und Unlust. Satt eines Buches liest er immer wieder den Magazin-Teil einer Wochenzeitung, selten passt die vorbereitete Reiselektüre zur tatsächlichen Reise.
Allmählich entwickelt sich eine eigene Literaturgattung. Als Leser ist man ständig doppelt gefordert, einmal den Jahreslauf des Autors mit zu verfolgen und dann wieder die wichtigsten Bücher mit der eigenen Leseerfahrung in Verbindung zu bringen. Scharf nach dem Motto, dass die besten Abenteuer im Kopf sind, erweist sich die Mitschrift von Lektüre als ein großes Abenteuer, das einen jederzeit an jeder Ecke anspringen kann.
Diesen Monat (September) habe ich viel gelesen und wenig geschrieben. Besser als umgekehrt? (202)
Kurt Bracharz steigt mit seinem Fiction Buch über Fiction elegant aus dem Druck der Gegenwartsliteratur aus, wonach ein Schriftsteller ununterbrochen etwas zu schreiben habe, um nicht weg vom Fenster zu sein. Irgendwann im Leben ist die ideale Lesezeit! - Jeder von uns träumt diesen Traum. Kurt Bracharz hat ihn sich verwirklicht.
Kurt Bracharz, Für reife Leser.
Innsbruck: Haymon 2009. 285 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-85218-588-0.
Weiterführende Links:
Haymon-Verlag: Kurt Bracharz, Für reife Leser
Wikipedia: Kurt Bracharz