Zambulat Idiew, Spiele hinter Stacheldraht

Buch-CoverNovellen sind üblicherweise eine spannende Angelegenheit, die auf ein Hauptereignis hin getrimmt und mit einer edlen Sprache umhüllt ist. Die Tschetschenen-Novellen von Zambulat Idiew hingegen könnte man als Brutalo-Novellen bezeichnen.

Das liegt nicht an der Erzählweise, die sarkastisch raffiniert ausgeübt wird, sondern schlicht an den brutalen Themen.

"Der Heiratsantrag des Drachen" klingt im ersten Moment wie eine Sage, ist aber im Text eine brutale Sequenz aus einem undurchschaubaren Krieg. Ein russischer Soldat will sich aus dem tschetschenischen Einsatzgebiet quasi als Trophäe eine Frau mitnehmen. Zu diesem Zweck fährt er mit entsprechendem Druck vor das Haus des Vaters, dann wird gleich Tacheles gesprochen. Entweder das Mädchen wird für die Hochzeit übergeben, oder das ganze Dorf bekommt eine Massage.

Überhaupt ist das Vokabular absurd zynisch. Ein Ober-Folterer nennt sich Therapeut, die entsprechenden Foltermethoden werden mit Begriffen aus der Wellness-Szene beschrieben. Da gibt es Massagen, Streicheleinheiten, Duschen und Stromtherapien, wobei alles tödlich enden kann. Das furchtbarste Wort freilich heißt "Filtrationslager", darin kann man für immer verschwinden oder klipp und klar erschossen werden. Das Lager ist ein Filter zwischen Diesseits und Jenseits.

Die ungeheure Geschichte wird aus der Sicht des jüngeren Bruders der begehrten Braut erzählt. Letztlich bettelt dieser, ein Stück mit dem Panzer mitfahren zu dürfen. Dann zündet er seine beiden Handgranaten und sprengt die Novelle in die Luft.

In der Geschichte "Hinter Stacheldraht" werden zwei Brüder mir nichts dir nichts verhaftet, sie sollen ein Attentat ausgeführt haben, obwohl sie eigentlich nur ordentlich getrunken haben. In einem ehemaligen Bus-Depot ist ein Folterlager eingerichtet, der Vater wird vorgeladen und man erklärt ihm, er kann einen der Söhne mitnehmen, wenn er den anderen für schuldig erklärt. Die Situation ist ausweglos. Am Schluss werden die beiden Brüder erschossen aufgefunden, was fast schon eine Erlösung ist.

"Der Gefangene" nennt sich eine bislang unveröffentlichte Novelle. Ein junger Bursch verlässt das Dorf und gelangt zu einem verfallenen Hof, als ihn plötzlich ein Hund umkreist und nicht mehr aus der Ruine lässt. So sehr der Gefangene auch mit dem Hund spricht, dieser bleibt eisern. Da stellt sich heraus, dass es ein militärischer Hund ist, der versprengte Kämpfer aufspüren soll. Tatsächlich wird der Junge vom Militär gestellt, aber es gelingt ihm eine wagemutige Flucht. Im entscheidenden Augenblick nämlich wechselt der Hund die Seiten und rettet den Gefangenen.

Zambulat Idiew erzählt sarkastisch genau, die Namen und Sprichwörter werden auf Tschetschenisch zitiert, in Fußnoten gibt es Erklärungen. Rituale, Alltag und Chaos werden wie eine Reportage aneinander gefügt, obwohl es sich um Fiktion handelt, erstarrt das Leserherz auf jeder zweiten Seite.

Wenn Literatur etwas bewirken kann, dann muss sie vielleicht so brutal sein wie diese hier. Zambulat Idiew bewirkt für das Verständnis Tschetscheniens wahrscheinlich mehr, als es jeder noch so genaue Bericht einer öffentlichen Einrichtung tun könnte. Eine grausame Literatur, die den Leser völlig heftig in die Arme nimmt.

Zambulat Idiew: Spiele hinter Stacheldraht. Novellen aus Tschetschenien. A. d. Russ. von Marianne Herold und Ruslan Bazgiew.
Klagenfurt: Kitab 2009. 145 Seiten. EUR 15,-. ISBN 978-3-902585-48-6.

 

Weiterführender Link:
Kitab-Verlag: Zambulat Idiew: Spiele hinter Stacheldraht

 

Helmuth Schönauer, 27-06-2009

Bibliographie

AutorIn

Zambulat Idiew

Buchtitel

Spiele hinter Stacheldraht

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Kitab

Übersetzung

Marianne Herold / Ruslan Bazgiew

Seitenzahl

145

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-902585-48-6

Kurzbiographie AutorIn

Zambulat Idiew, geb. 1964 in Grosny, lebt seit 2003 in Belgien.