Dominik Bernet, Der grosse Durst

Buch-CoverDer gebildete Leser denkt beim großen Durst natürlich an den Wissensdurst, zumal es sich bei Dominik Bernet's Roman im vagen Sinn um einen Bildungsroman handelt. Aber in diesem konkreten Durst ist alles anders, denn es ist ein Bildungsroman der besonderen Art.

Der etwa zwölfjährige Icherzähler erkennt eines Tages, dass die Dinge alle anders ticken, als man sie auf den ersten Blick erkennt. Sein Vater ist nämlich ein Außerirdischer, der mit dem Müllschacht kämpft und den dementsprechenden Geruch und ein zerrissenes Outfit mitbringt, wenn er in die Wohnung im siebten Stock kommt.

Mit dieser Erkenntnis im Hintergrund verändert sich die Welt schlagartig. Vater wird ständig mit einer roten Flüssigkeit gestärkt, die ihn unverwundbar macht. Wann immer er verschwindet, geht er auf Proben für einen außerirdisch guten Film.

Auch die Umwelt des Erzählers verändert sich, denn die Proben des Vaters und seine Rollen dürfen nicht verraten werden. Und während andere Väter irdischen Symbolen wie Sport oder einem guten Auto huldigen, ist der Film-Vater so mit seinen Rollen beschäftigt, dass er auf die Statussymbole verzichtet. Einmal gelingt der Umzug vom Hochhaus in ein Reihenhaus, dort stinkt es ab und zu erbärmlich, aber es dürfte sich um das Geld handeln, das die Nachbarn am Abend zählen und das einen immensen Geruch durch die Kamine jagt.

Eines Tages gelingt es dem Erzähler, echten Kontakt zum Vater aufzunehmen. Der erste Kinobesuch steht an. Und während Vater während des Filmes hinausgehen und nachtanken muss, erlebt der Erzähler, wie sich Filmwelt und Familiengeschichte vermischen.

Ab jetzt gibt es kein Halten mehr, alles ist ein Film. Ein besonders prächtiges Exemplar ist der dritte Mann, worin das devastierte Wien die Hauptrolle spielt, ununterbrochen Onkel und Tanten verschwinden und als seltsame Verwandte im Kanalsystem wieder auftauchen.

Das große Showdown findet schließlich auf der Leinwand und im Wohnzimmer statt. Ein abgetakelter Westernheld zittert in seinem großen Durst dermaßen, dass er zu nichts mehr taugt. Der Sheriff flößt ihm vor größeren Schießereien immer ein Getränk ein, damit die Hand beim Schießen ruhig bleibt. (59) Vater hat ebenfalls den großen Durst von der Leinwand übernommen.

Schließlich geht Dad auf Entwöhnungskur, aber für den Erzähler sind das nur Proben für einen besonderen Film. Ziemlich peinlich wird die Situation, als die Schulklasse des Erzählers mit dem Schiff den Fluss hinunterfährt und an einer entlegenen Uferstelle der Wagen des Vaters steht, von dem man nur sieht, wie eine Flasche steil nach oben ragt.

Erst als sich alles in Krankheit und Tod auflöst, relativiert sich die Wahrnehmungsszenerie und lässt andere Deutungen zu. Wahrscheinlich hat all die Jahre Mutter mehr gesoffen, aber bei ihr hat man es nicht gemerkt, und der Vater hat wahrscheinlich wie ein Außerirdischer trinken müssen, um sich in den richtigen Film zu zappen. - Eine grotesk-schöne Geschichte über Kino, Pubertät, Erwachsenwerden, Saufen und die endgültige Abgeklärtheit.

Dominik Bernet, Der grosse Durst. Roman.
Muri bei Bern: Cosmos Verlag 2009. 128 Seiten. EUR 21,90. ISBN 978-3-305-00421-8.

 

Weiterführender Link:
Cosmos-Verlag: Dominik Bernet, Der grosse Durst

 

Helmuth Schönauer, 23-07-2009

Bibliographie

AutorIn

Dominik Bernet

Buchtitel

Der grosse Durst

Erscheinungsort

Bern

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Cosmos Verlag

Seitenzahl

128

Preis in EUR

21,90

ISBN

978-3-305-00421-8

Kurzbiographie AutorIn

Dominik Bernet, geb. 1969 in Basel, lebt in Zürich.

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