Waltraud Seidlhofer, Tage, Passagen

Buch-CoverNach einer intensiven Reise wird das Informationsmaterial meist in einer Schachtel abgelegt und Jahre später wird alles umgestülpt und neuerlich zum Vorschein gebracht. Die wahre Ordnung einer Reise aber bestimmt stets der Reisende.

In Waltraud Seidlhofers poetischer Materialschachtel betritt vielleicht jemand ein Museum, umkreist es, geht hinein und legt sich eine Ordnung der ausgestellten Dinge zurecht. Ähnlich geht man ja auch beim Erkunden einer Stadt vor, man reist an, umkreist sie und durchschreitet sie mit aufgerissenen Augen.

Tage, Passagen handelt von diesem Durch-driften der Sinnesorgane durch eine inszenierte Welt. Manches erscheint vertraut wie der Weg zur Arbeit, den man Jahrzehntelang geht, anderes wiederum erweist sich als völlig undurchschaubarer Weg, in welchen aber stets rätselhafte Hinweise eingeflochten sind.

Als Hauptstrang könnte man den Besuch eines Keramik-Museums herauslesen. Während die Augen nach Hinweisen gieren und das Hirn sich einen durchlaufenden Sinn zusammensucht, läuft dem Besucher in Kursivschrift ein schmerzhafter Arm durch die Sinne. Letzten Endes durchlebt der schmerzhafte Arm dasselbe Schicksal wie das gut aufgestellte Museum, das sich mit jeder Vitrine und jeder Beschriftung neu erschließt. Auch beim Schmerz gibt es Hoffnung, vielleicht lässt er nach, wenn man ihn nur sorgfältig genug untersucht, vielleicht aber kommt man den Ursachen dieses Schmerzes nie auf die Spur.

In täglich neuen Anläufen türmen sich vor dem Betrachter die seltsamsten Dinge auf, ein Bahnhof etwa besteht letztlich nur aus dem Schild Bahnhof, jegliche Infrastruktur ist bereits demontiert. Die Poesie eines gelesenen Reiseführers erweist sich angesichts der Realität als blind, andererseits türmen sich kleine Beobachtungs-Scherben einer alltäglichen Passage zu Bojen eines verschlüsselten Kurses auf.

Ab und zu gibt es Inserts, die das Gesehene in eine bestimmte Richtung hin deuten und einen Übergang in ein neues Segment verschaffen: insert / bruecke II /das foto der anbindungslos in der landschaft stehenden brueckenkonstruktion ist teil einer ausstellung, die sich mit architekturdetails befasst: ausschnitte von haeusern, fabriken, zimmer, durchgaenge. (100)

Waltraud Seidlhofer erzählt unbeirrt und unermüdlich, Namen und Gefühle werden scheinbar ausgeklammert, und dennoch spielen die Gefühle bis hin zum unerträglichen Schmerz eine tragende Rolle und legen eine eigene Achse durch den Text. Als Leser hat man gewiss einzelne Komponenten dieser Seh-Wiese schon persönlich erlebt, aber diese dichte Universalsammlung aufgesplitteter Erkenntnisteile ist einmalig und grandios. Tage, Passagen regen dazu an, mit einem neuem Sensorium frische Passagen durch die Zeit zu schlagen.

Waltraud Seidlhofer, Tage, Passagen.
Wien: Klever 2009. 135 Seiten. EUR 15,90. ISBN 978-3-902665-14-0.

 

Weiterführende Links:
Klever-Verlag: Waltraud Seidlhofer, Tage, Passagen
Lyrikwelt: Waltraud Seidlhofer

 

Helmuth Schönauer, 12-01-2010

Bibliographie

AutorIn

Waltraud Seidlhofer

Buchtitel

Tage, Passagen

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Klever

Seitenzahl

135

Preis in EUR

15,90

ISBN

978-3-902665-14-0

Kurzbiographie AutorIn

Waltraud Seidlhofer, geb. 1939 in Linz, lebt in Thalheim bei Wels.