Andreas Neeser, Unsicherer Grund

Buch-Cover

Nach einer kühnen These besteht die Unterscheidung zwischen fiktionalen und sachbezogenen Texten darin, dass man sich bei Sachtexten um Sicherheit bemüht, während in fiktionalen Texten gerade das Unsichere zum Thema gemacht wird.

Andreas Neeser kümmert sich in seinen Erzählungen um das "Unsichere", fast alles ist auf schlammigen Erkenntnisgrund gebaut und das einzig Feste und Sichere scheint die Erzählkunst zu sein, denn in den Geschichten ist der Tonfall des Ungewissen das einzig Sichere.

In den acht Erzählungen geht es um Erinnerungen, um längst entschwundene Kindheitsaugenblicke, um Vergänglichkeit von frei gestalteter Zeit und um Liebschaften, die wie entlegene Landschaften von den Wellen des verlässlichen Meeres fortgespült werden.

Schon die Titel der einzelnen Episoden deuten auf etwas Vages, das sich auch bei entsprechendem Nachbohren nicht verfestigen lässt. "Von Fenster zu Fenster" , darin schwindet etwa die gepflasterte Erinnerung vor einem Altstadthaus, "damals an Ostern" legt die Geschichte zeitlich so ungenau an, dass nicht einmal Ostern selbst ein verlässlicher Zeitpunkt ist, oder "da wo alles angefangen hätte" zieht den Konjunktiv gar in die Überschrift, man stelle sich als Gegenprobe nur vor, eine Zeitung würde mit einer Schlagzeile der Gewissheit im Konjunktiv aufmachen.

Aber auch die einzelnen Sätze liegen wie Zufallsfunde in den Absätzen, auf den ersten Blick verzichten sie auf jegliche Logik, erst wenn mehrere Assoziationsketten übereinandergelegt werden ergibt sich etwas wie Erinnerung, durch deren Löcher die Zeit schimmert.

"Mein Herz steht still wie ein Strand" (59) heißt es einmal, und nach der ersten Verblüffung, wie so ein Strand still sein kann, pulst das Herz dann den Sand der Zeit über das Geschehen.
Ein anderer Protagonist behauptet in einem Meer von Schwerelosigkeit, dass er "herumkörpere" (71), eine geradezu wahnwitzig genaue Beschreibung eines Wesens, das ähnlich einem Beamten bloß den Körper in den Dienst stellen muss, dann ist alles erledigt.

Für sich genommen und vom Kontexte entschält wirken die einzelnen Fügungen wie kleine Kieselsteine in einem verloren gegangenen Fundament.

Der Tod riecht auf Distanz. (80)
Einsame Magier sind wir geworden. (85)
Punkt für Punkt würde ich die Kindheit vermessen. (100)

 

Gleichzeitig geben solche luzide Einsprengsel das Erzählkonzept preis: Alles ist im Fluss, auf nichts ist Verlass außer auf die Kraft der Bemühung, das Unerzählbare zu erzählen.

Andreas Neesers Geschichten fassen den Leser an der Stirn der Erinnerung, setzen ihm Bilder dahinter, aber als Botschaft bleibt nur jener verduftete Hauch der Vergangenheit, wie ein Wisch mit einem feuchten Schwamm der Verdunstung aufgetragen. - Eine wunderbare Auflösung jeglicher Zeitgebundenheit.

Andreas Neeser, Unsicherer Grund. Erzählungen.
Innsbruck: Haymon 2010. 103 Seiten. EUR 15,90. ISBN 978-3-85218-635-1

 

Weiterführende Links:
Haymon-Verlag: Andreas Neeser, Unsicherer Grund
Wikipedia: Andreas Neeser

 

Helmuth Schönauer, 01-04-2010

Bibliographie

AutorIn

Andreas Neeser

Buchtitel

Unsicherer Grund. Erzählungen

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Haymon

Seitenzahl

103

Preis in EUR

15,90

ISBN

978-3-85218-635-1

Kurzbiographie AutorIn

Andreas Neeser, geb. 1964, lebt in der Nähe von Aarau.

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