Silvia-Iris Beutel / Wolfgang Beutel (Hrsg.), Beteiligt oder bewertet?

Buch-CoverWas haben eigentlich Schulnoten mit Demokratie zu tun? Sehr viel! Einerseits sind sie das Ergebnis der Emanzipation aus der Ständegesellschaft des Mittelalters andererseits begründen sie wieder die Aufnahme und den Ausschluss von Menschen aus den poltischen Einrichtungen der Demokratie.

Beteiligt oder bewertet? ist ein Sammelband zum Themenschwerpunkt "Leistungsbeurteilung und Demokratiepädagogik". 26 Autorinnen und Autoren aus den verschiedenen Ausbildungsstufen, von der Sonderpädagogik über die Grundschule und das Gymnasium bis hin zur Universität setzen sich mit dem Thema aus verschiedenen theoretischen und praktischen Fragestellungen auseinanderander und zeichnen einen vielschichtigen Einstieg in eine durchaus komplexe Thematik.

Zum Einfluss des Bewertungssystems auf die Zuteilung von Entwicklungs-, Bildungs- und Lebenschancen bemerken die Herausgeber Silvia-Iris und Wolfgang Beutel in ihrer Einleitung:

Von dieser Warte aus gesehen, sind Leistungsbewertung, Noten und Zeugnisse nur scheinbar ein Schritt auf dem Weg zu einer gleichberechtigten und demokratischen Gesellschaft. Man könnte deshalb auch sagen: Die Schule und ihr Zeugniswesen sowie das Wechselspiel von Lernen und Leistungsbewertung sind historische Errungenschaften dauernder und variantenreicher Ungerechtigkeit und damit zugleich Kennzeichen einer im Wesen zutiefst undemokratischen Institution. (10)

Eine harte Kritik zunächst am deutschen Schulsystem, die, begründet durch ihre Ähnlichkeit der beiden Systeme, aber auch das österreichische Schulsystem trifft. In den einzelnen Beiträgen wird die Kritik am gängigen Beurteilungssystem aus unterschiedlichen Blickwinkeln detailliert ausgeführt, die folgenden Themenschwerpunkten zugeordnet sind:

I. Grundlagen und Grundfragen
II. Praxisbeispiele
III. Leistungsbeurteilung und Demokratie in schulischen Kontexten

Hinter der Kritik am Beurteilungssystem steht auch eine Kritik an der politischen Entwicklung, dass sich die Eliten der Reichen und Gebildeten ihren übermäßigen Einfluss auf die Meinungsbildung und Machtausübung in der Demokratie sowie ihre ökonomischen Vorteile auch mit Hilfe des schulischen Beurteilungssystem ausbauen und festigen konnten und damit die soziale Diskriminierung verstärkt statt abgebaut wurde.

Neben der Analyse und der Kritik am bestehenden System präsentieren die Autorinnen und Autoren aber auch interessante Anregungen, wie Schule und demokratische Kultur zukunftsweisend verbunden werden können und welche Möglichkeiten der Leistungsbeurteilung diesen neuen Ansätzen gerecht werden können.

In acht Beiträgen zu den Grundlagen und Grundfragen des Verhältnisses zwischen Leistungsbeurteilung und Demokratiepädagogik werden Fragen zur Lernförderung und demokratischen Erfahrung ebenso erläutert wie das Problem der Integration und Desintegration als Folge der Leistungsbeurteilung oder das ambivalente Verhältnis von demokratischem Lernen und pädagogischer Leistungskultur, um nur einige der behandelten Aspekte zu nennen.

Interessante Aspekte zur Frage nach der Leistungsbeurteilung für den Bereich der demokratischen Erfahrung und Erziehung bieten sechs Berichte zu konkreten Schulprojekten und Unterrichtsumsetzungen im Kapitel Praxisbeispiele, wie z.B. individuelle Formen der Leistungsbeurteilung, in denen Portfolios, Schülerpräsentationen und eine ausgeprägte Gesprächskultur einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Dabei werden Projekte an verschiedenen Schultypen wie Gymnasium, Grundschule oder Internatsschulen vorgestellt.

Ebenfalls in sechs Beiträgen wird das Verhältnis zwischen Leistungsbeurteilung und Demokratie in schulischen Kontexten analysiert. Neben den allgemeinen Problemen bei der Dokumentation und Beurteilung von Leistung, wird u.a. auch gezeigt, wie sich die pädagogische Forderung der Erziehung zum demokratischen Bürger selbst im Mathematikunterricht wiederspiegeln kann.

Die Aufsatzsammlung zum Thema Leistungsbeurteilung und Demokratiepädagogik bietet vor allem Lehrerinnen und Lehrern einen interessanten Einstieg in ein komplexes Thema und eine Fülle von Anregungen zu einem überaus wichtigen Thema der Schulpraxis. Dabei wird aus unterschiedlichen Perspektiven der große Einfluss schulischer Leistungsbewertung auf die pädagogische, soziale wie auch demokratiepolitische Entwicklung der Schülerinnen und Schüler dargestellt. Ein wichtiges, interessantes und vor allem auch spannend zu lesendes Buch zu einem Thema von gesellschaftlicher Tragweite, das allen Lehrerinnen und Lehrern weiterempfohlen werden kann.

Silvia-Iris Beutel / Wolfgang Beutel (Hg.), Beteiligt oder bewertet? Leistungsbeurteilung und Demokratiepädagogik
Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2010, 368 Seiten, 32,80 EUR, ISBN 978-3-89974584-9

 

Weiterführender Link:
Wochenschau-Verlag: Silvia-Iris Beutel / Wolfgang Beutel (Hg.), Beteiligt oder bewertet?

 

Andreas Markt-Huter, 05-07-2010

Bibliographie

AutorIn

Silvia-Iris Beutel / Wolfgang Beutel (Hrsg.)

Buchtitel

Beteiligt oder bewertet?

Erscheinungsort

Schwalbach

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Wochenschau-Verlag

Herausgeber

Silvia-Iris Beutel / Wolfgang Beutel

Reihe

Politik und Bildung

Seitenzahl

368

Preis in EUR

32,80

ISBN

978-3-89974584-9

Kurzbiographie AutorIn

Silvia-Iris Beutel ist Professorin für Schulpädagogik und Allgemeine Didaktik an der Technischen Universität Dortmund; Arbeitsschwerpunkte: Schulentwicklung, Reformschulen, Allgemeine Didaktik, Unterrichtsforschung, Übergangsfragen im Bildungswesen, Leistungsbeurteilung.

Wolfgang Beutel ist Geschäftsführer des Förderprogramms Demokratisch Handeln an der Universität Jena. Arbeitsschwerpunkte: Demokratiepädagogik, Politische Bildung, Schulentwicklung und Schulreform, Projektdidaktik.