Juri Andruchowytsch, Zwölf Ringe

andruchowytsch, ringeDie raue Wirklichkeit lässt sich noch immer bestens mit romantischen Mitteln beschreiben. Je inniger und romantischer die poetische Erzählweise ist, umso heftiger und realer fällt das zwischen den Zeilen Ungesagte aus.

Jury Andruchowytsch verwendet für seinen Roman Zwölf Ringe gleich mehrere romantisch überhöhte Mittel. Da schickt er einmal den österreichischen Fotografen Karl-Joseph Zumbrunnen schmachtend in die Ukraine, um sinnliche Bilder zu schießen. Mit der Zeit verliebt sich Zumbrunnen dermaßen in das Land, dass sich seine Wiener Frau von ihm trennt.

In der Ukraine hat es ihm die Kultur der entlegen wohnenden Huzulen angetan, die romantisch an der Kitschgrenze angesiedelt ihre Folklore hochleben lassen.

Die Dolmetscherin Roma Woronytsch fordert die Hormone Zumbrunnens ziemlich heftig heraus, was ihrem Mann, dem Schriftsteller Artur Pepa gar nicht gefällt. Und quer durch diese Dreiecksgeschichte spannt sich der Mythos von den Zwölf Ringen, der auf den Trakl-romantischen Dichter Bohdan-Ihor Antonytsch zurückgeht, welcher 1937 28-jährig gestorben ist. In den zwölf Ringen geht es um die immer heftiger werdenden Umklammerungen der Liebe, die schließlich in der Glut kompletter Vereinigung in Unsterblichkeit aufgehen.

Nach einer blöden Saufgeschichte voller Missverständnisse stürzt Zumbrunnen schließlich in einen Bach und ertrinkt halb erschlagen. Als Wasserleiche wachsen ihm schließlich noch Flügel, und er überfliegt das frisch vereinte Europa, denn die Toten ziehen immer nach Westen.

Komische Sache, Leichen. Mit ihnen haben wir es viel seltener zu tun als mit anderen Leuten. Wir sind es gewohnt, daß der Körper eines Menschen seinem individuellen Gestaltungswillen gehorcht. Er bewegt sich im Raum, gestikuliert, schützt sich vor Stößen, hält seine eigene, vom Bewußtsein vorgegebenen Koordinaten ein. (201)

Im Roman Zwölf Ringe verläuft auf der ersten Ebene einmal alles recht logisch und melancholisch, ein einsamer Held geht seinen Sehnsüchten nach und stirbt wie eine Figur von Joseph Roth. Gleichzeitig ist in diesem Helden-Körper ein ganzer Kulturkreis eingenistet, welcher zu den Ukrainern der Gegenwart spricht, ihre Identität zu fördern sucht und sie von Moskau-Phobien und westlichen Kitscherein gleichsam abhalten will.

In der entlegenen Krapatenkultur werden seltsame Mythen aufgewärmt, die Eisenbahn fährt sinnentlegen wie in einem Märchen einmal am Tag ans Ende der Welt, ein Fisch aus der Donau wird den Bach hinauf schwimmen und das Land verändern, die zwölf Ringe der Liebe werden zu einem heftigen und anstrengenden Glück führen.

Zwischen diesen schwärmerischen Zeilen quillt die Ukraine der Gegenwart hervor, voller Selbstzweifel um die Zukunft, gespalten zwischen Osten und Westen und unendlich abenteuerlich, auch wenn jeder Tag unendlich schwer zu meistern ist. - Eine Liebeserklärung an die Ukraine, heißt es im Nachwort von Sabine Stöhr.

Juri Andruchowytsch, Zwölf Ringe. Roman. Aus dem Ukrain. von Sabine Stöhr. [Orig.: Dvanacjat` obruciv, Kiew 2003].
Frankfurt / M: Suhrkamp 2005. 305 Seiten. EUR 23,60. ISBN 978-3-518-41681-5.

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp-Verlag: Juri Andruchowytsch, Moscoviada
Wikipedia: Juri Andruchowytsch

 

Helmuth Schönauer, 24-08-2010

Bibliographie

AutorIn

Juri Andruchowytsch

Buchtitel

Zwölf Ringe

Originaltitel

Dvanacjat` obruciv

Erscheinungsort

Frankfurt

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Suhrkamp

Übersetzung

Sabine Stöhr

Seitenzahl

305

Preis in EUR

23,60

ISBN

978-3-518-41681-5

Kurzbiographie AutorIn

Juri Andruchowytsch, geb. 1960 in Iwano-Frankiwsk/Westukraine, dem früheren galizischen Stanislau, lebt in Iwano-Frankiwsk.