Ulrich Ladurner, Eine Nacht in Kabul

Buch-CoverÜblicherweise brechen Journalisten in entlegene Kriegsgebiete auf, um über die Sinnhaftigkeit eines Krieges und seinen Fortschritt zu berichten.

Ulrich Ladurner ist schon seit einem Jahrzehnt immer wieder in Afghanistan, um über den Einsatz der amerikanisch-westlichen Truppen zu berichten. Aber so seltsam es klingt, eigentlich weiß er mit jedem Einsatz weniger, was er berichten soll und was die Westler in Afghanistan überhaupt wollen.

Zusammengehalten werden die verschiedenen Einsätze des Journalisten durch eine Landkarte, die quasi zur zweiten Haut geworden ist. In dieser Karte sind jene verwinkelten Orte eingezeichnet, an denen zu raren Zeiten die Vergangenheit Afghanistans aufbricht und sich auf die Truppen der Gegenwart ergießt.

Auf einem Spick-Zettel hat Ulrich Ladurner seine "Einsätze" notiert, Kabul 2002, Kost 2002, Kandahar 2004, Gardez 2005, Marzar-e-Sharif 2007, Kundus 2009. Diese Reportagen berichten meist von einer irrwitzig komplizierten Anreise, dem Aufsuchen von Mittelsmänner, die den Kontakt zu den feindlichen Interview-Partnern herstellen, und einer Erzählung aus deren Sicht, wie es zum Desaster Afghanistan gekommen ist.

Tatsächlich ist die Geschichte Afghanistans aus westlicher Sicht ein Schwarzes Loch, in dem Truppen, Interessen, Feinde, Strategien und Ideologien versickern. Während Engländer in ihrem kolonialen Denken vom Land abgeworfen und verjagt wurden, scheiterten die Sowjets in ihrer Brüderlichen Unterstützung für ein kommunistisches Marionetten-Regime.

Und was jetzt die westliche Allianz in Afghanistan aufführt, lässt sich weder in einem Sinn noch in einer Strategie erkennen, irgendwie scheint man das unheimliche Nine-Eleven der Towers von New York auf einer unsichtbaren Kampfesfläche in den Bergen Afghanistans abermals erleben zu wollen.

Die Erzählungen sind erschütternd und abenteuerlich. Allein die Beschreibung jenes Tales, in dem die Sowjets mangels sichtbaren Feindes aufgerieben worden sind, zeigt die Unmöglichkeit, mit unseren gängigen Vokabeln dieses Land beschreiben zu wollen.

Oft sind es kleine Szenen, die die ausweglose Situation beschreiben. Die Amis sitzen längst in Texas hinter ihrem Joy-Stick und steuern die Drohnen durch unwegsames Gelände einer abgehobenen Virtualität. Die Chinesen zeigen Präsenz und führen zwischendurch ein abgefucktes Bordell in Kabul um dann wieder sang- und klanglos zu verschwinden wie die Taliban, die plötzlich da und auch schon wieder verschwunden sind.

Siehst du, da drüben, das ist der Polizeichef. Er trinkt Bier. Er trinkt viel Bier! Wenn er später nach Hause fährt, dann wird er den nächstbesten Mann anhalten. Wenn er schlecht gelaunt ist, wird er ihn erschießen. Wenn er gut gelaunt ist, wird er ihm sein ganzes Geld abnehmen. Der Polizeichef ist hier der König. (231)

Ulrich Ladurner fasst in lakonischen Zitaten das Unvorstellbare zusammen. Hier in Afghanistan kämpft die Währung von Geld, Religion. Identität und Geschichte des Westens gehen die eigene Antimaterie. Der Ausgang dieses Kampfes scheint gewiss, alles wird in diesem Schwarzen Loch verschwinden. - Eine fast apokalyptische Darstellung von der Hinterseite des sogenannten Afghanistan-Einsatzes.

Ulrich Ladurner, Eine Nacht in Kabul. Unterwegs in eine fremde Vergangenheit. Mit einem Vorwort von Helmut Schmidt.
St. Pölten: Residenz 2010. 256 Seiten. EUR 21,90. ISBN 978-3-7017-3205-0.

 

Helmuth Schönauer, 30-08-2010

Bibliographie

AutorIn

Ulrich Ladurner

Buchtitel

Eine Nacht in Kabul. Unterwegs in eine fremde Vergangenheit

Erscheinungsort

St. Pölten

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Residenz

Seitenzahl

256

Preis in EUR

21,90

ISBN

978-3-7017-3205-0

Kurzbiographie AutorIn

Ulrich Ladurner, geb. 1962 in Meran, Studium in Innsbruck, lebt in Hamburg.