Lydia Mischkulnig, Schwestern der Angst

Buch-CoverNichts lässt sich so schwer finden wie die eigene Persönlichkeit. Bis sich so ein Individuum zu einem singulären Ereignis zusammengerappelt hat, bedarf es oft eines lebenslangen Kampfes.

Im Roman Schwestern der Angst geht es vordergründig um eine Dreiecksgeschichte, in der Substanz jedoch um Leben und Tod und Identität.

Die Mädchen Marie und Renate wachsen scheinbar wohlbehütet und friedlich wie in einem Puppenheim auf, sie verstehen sich gut miteinander und wachsen aneinander. Aber hinter der Idylle lauert schon der Großvater, der es zumindest mit der Erzählerin Renate nicht so genau nimmt. "Ich erlebe Sexualität als Schändung" (133) wird Renate später bitter zusammenfassen.

Als die Mädchen erfolgreich im Leben Fuß fassen, kümmert sich der Nervenarzt Paul zu gleichen Teilen um sie. Renate muss feststellen, dass sie ihren Geliebten mit der Schwester teilen muss, viel schlimmer noch, der Nervenarzt will ihre Schwester heiraten.

In einem seelischen Ausnahmezustand rast Renate durch den Kontinent. In Brautgeschäften testet sie Brautkleider, die Symbolik von Hochzeit scheint in allen Dingen vorborgen zu sein. Ihren Kurzzeitbekannten Robert bringt Renate kaltblütig um und wirft seinen Leichnam vor die U-Bahn, wo er hoffentlich als Unfallopfer durchgehen wird.

Mit der Zeit ist nicht mehr klar, was sich in der Raserei als Wahnvorstellung und was als Faktum abspielt. Eigentlich erwartet Renate ihre Festnahme, aber es reicht "nur" zu einem psychiatrischen Aufenthalt in einer Anstalt.

Ich liebte Zeichen. Wo es keine Zeichen gab, bildete ich mir Zeichen ein. Ein leeres Blatt war nicht schlicht ein leeres Blatt, es fehlte etwas. Aber was? Nichts fehlte. Alles war aufgeschrieben, weil alles möglich war, wenn nichts davon da stand. (213)

Offensichtlich ist jegliche Wahrnehmung aus dem Ruder gelaufen, aus dem ehemals so friedlichen Verhältnis der Schwestern ist ein System aus purer Angst geworden, aufgestachelt von psychiatrischen Maßnahmen.

Schwestern der Angst ist ein komplexer Seelen-Roman, bei dem die diffusen Ängste und Wahnvorstellungen jeweils klar und wild ausbrechen wie die Eruptionen eines Psycho-Vulkans. Mit der Zeit verschiebt sich die Realität und wird zu einer schiefen Ebene der Wahrnehmung. Das ganze Koordinaten-System der Identität ist in Auflösung geraten, alles rinnt irgendwo hin und nimmt kein Ende. - Aufgekratzt bedrohlich!

Lydia Mischkulnig, Schwestern der Angst. Roman.
Innsbruck: Haymon 2010. 248 Seiten. EUR 17,90. ISBN 978-3-85218-642-9.

 

Helmuth Schönauer, 22-09-2010

Bibliographie

AutorIn

Lydia Mischkulnig

Buchtitel

Schwestern der Angst

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Haymon

Seitenzahl

248

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-85218-642-9

Kurzbiographie AutorIn

Lydia Mischkulnig, geb. 1963 in Klagenfurt, lebt in Kärnten und Wien.

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