Klaus Bergmann, Multiperspektivität

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Wie im Leben selbst gibt es auch in der Geschichtsbetrachtung nicht nur die eine, allgemeingültige Perspektive. Geschichte hat viel mit Fragen zu tun und Fragen lassen sich eben aus unterschiedlichen Blickwinkeln stellen.

Im traditionellen Geschichtsunterricht wurde den Schülerinnen und Schülern Geschichte als Belehrungs- und Gesinnungsunterricht vermittelt. Der allwissende Lehrer vermittelte seinen Schülern seine Perspektive der Vergangenheit, die für die Kinder als historische Wahrheit verstanden wurde. Im Mittelpunkt der Darstellung stand der Staat mit seinen großen Protagonisten mit denen sich die Schüler identifizieren sollten. Geschichte hatte somit eine staatstragende und identitätsstiftende Funktion. Die Inhalte bestimmten die mächtigen Eliten und politischen Klassen, während die Sichtweise der erfolglosen und gescheiterten der Gesellschaft irrelevant blieb.

Mit dem Niedergang des klassischen Historismus, wie er vor allem im 19. und Anfangs des 20. Jahrhunderts vorherrschend war, setzten sich neue historische Perspektiven durch wie Sozialgeschichte, Mentalitätsgeschichte, Frauengeschichte, Kulturgeschichte u.a. Dem neuen Denken lag ein historischer Wandel im Bereich der Geschichtsdidaktik zugrunde, die sich abwandte vom staatlich verordneten Kanon historischen Wissens, das sich vor allem am Interesse der gesellschaftlichen Eliten orientierte. Gefordert wurde die Hinwendung zum Interesse der Schülerinnen und Schüler, mit dem Ziel:

den Schülerinnen und Schülern die Fähigkeit zum Selberdenken zu vermitteln und ihnen zu verdeutlichen, warum historisches Denken in den Auseinandersetzungen der Gegenwart und in den Zusammenhängen des eigenen Lebens eine erprobte und ertragreiche Betrachtung der Wirklichkeit sein könnte. (23)

Die Idee der Multiperspektivität in der Geschichtsdidaktik entstand, indem die Reflexion und die Auseinandersetzung des Historikers mit den unterschiedlichen Perspektiven seiner Quellen auch als Vorbild für geschichtliches Denken im Unterricht in Betracht gezogen wurden. Für den Geschichtsunterricht steht nun vielmehr im Vordergrund, dass die Schülerinnen und Schüler lernen, sich in der Zeit zu orientieren und wie Informationen aus unterschiedlichen Quellen und Urteilen aus der Geschichte entnommen werden können, um sich ein eigenes Urteil zu bilden.

Die Schülerinnen und Schüler begegnen dabei der Grundtatsache der Perspektivität menschlicher Wahrnehmung, Deutung und Orientierung und damit auch der eigenen Perspektivität. Und sie erfahren, dass Perspektivität im gesellschaftlichen Zusammenhang immer auf Multiperspektivität hinausläuft - auf viele unterschiedliche Wahrnehmungen, Deutungen und Orientierungen. (32)

Nach dieser grundsätzlichen Einführung untersucht Bergmann Perspektivität, Multiperspektivität und Kontroversität als Themen historischen Lernens, in der außerwissenschaftlichen Geschichtskultur. Außerdem werden Probleme des perspektivischen und multiperspektivischen Lernens anhand einiger Themenbereiche erläutert. In einem eigenen Abschnitt werden methodische Möglichkeiten präsentiert, um multiperspektivisches Denken im Geschichtsunterricht zu vermitteln.

Im praktischen Teil finden wir umfangreiche Beispiele, wie sich im konkreten Geschichtsunterricht Multiperspektivität vermitteln und umsetzen lässt. Dabei werden die Schülerinnen und Schüler bewusst mit Quellen konfrontiert, die einen Geschichtsabschnitt aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Jedem Beispiel werden ein historischer und ein geschichtsdidaktischer Hintergrund sowie methodische Hinweise beigelegt. Damit sollen die Schüler an praktischen Beispielen verschiedene Perspektiven erkennen und lernen welche Absichten hinter den einzelnen Perspektiven versteckt sind.

Bergmann geht es neben einer fundierten geschichtstheoretischen und geschichtsdidaktischen Begründung der Bedeutung von Multiperspektivität im Geschichtsunterricht vor allem auch darum, praktische Beispiele für den Unterricht bereit zu stellen. Im Zuge der konkreten Umsetzung lassen sich die theoretischen Grundlagen noch einmal im praktischen Unterrichtsvollzug direkt erfassen. Eine wunderbare Empfehlung für einen Geschichtsunterricht weit abseits von langweiligem und sinnentleertem Auswendiglernen von Daten und Fakten.

Klaus Bergmann, Multiperspektivität. Geschichte selber denken
Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2008, 296 Seiten, 20,40 €, ISBN 978-3-87920-742-8

 

Andreas Markt-Huter, 09-03-2011

Bibliographie

AutorIn

Klaus Bergmann

Buchtitel

Multiperspektivität. Geschichte selber denken

Erscheinungsort

Schwalbach

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Wochenschau Verlag

Seitenzahl

296

Preis in EUR

20,40

ISBN

978-3-87920-742-8

Kurzbiographie AutorIn

Dr. Klaus Bergmann war Professor für Didaktik der Geschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen.