Hartmut Lange, Im Museum

Buch-CoverEin Museum ist üblicherweise dazu da, Geschichte wohl dosiert in Schaukästen einzusperren. Manchmal aber entwickeln solche Schauräume in die Vergangenheit ein Eigenleben und verursachen selbst eine Geschichte.

Hartmut Lange veranlasst mit seinen unheimlichen Begebenheiten einen stillen Aufruhr im Historischen Museum in Berlin. Die Geschichten laufen still und bewegungslos ab, kein schriller Alarm stört das Knistern der Atemlosigkeit.

Eine reifere Frau dient sich ihren Vorruhestand als Aufseherin herunter. In vielen Berufen vergeht die Arbeitszeit oft ums Verrecken nicht, aber im Museum steht die Arbeitszeit zum Bersten still wie jede darin gespeicherte Zeit.

Sie sieht auf die Armbanduhr. Es ist fünf Uhr nachmittags, und in einer Stunde, so lange gilt es noch durchzuhalten, würde jene, die Margarete Bachmann heißt, wieder in der Garderobe sein, um die Kleider zu wechseln. Sie würde den Dienstplan für den nächsten Tag entgegennehmen, und vielleicht würde sie noch zum Discounter gehen, um gegen Abend endlich die Beine unter dem Sofatisch auszustrecken. Ihre Wohnung ist klein. (13)

Kann so ein Mensch überhaupt etwas erleben, fragt man sich als Leser. Bei Hartmut Lange kriegen die gewöhnlichsten Figuren das außergewöhnlichste Erlebnis. Im Falle der Museumswächterin taucht eines Nachmittags der lange untergetauchte Sohn auf, geht in einen entlegenen Museumstrakt und verschwindet für immer.

An anderer Stelle wächst ein Held aus vergangenen Zeiten aus dem Geschichtsbild heraus und schreitet seine eigene Zeit als ausgestellte Museumsstrecke ab. Es ist ein unerträgliches Gefühl, die eigene Vergangenheit vor der Gegenwart bewachen zu müssen.

Wiederum in einem anderen Trakt fotografiert ein Besucher ausschließlich Korridore, obwohl es dort nichts zu sehen gibt, im Gegenteil, weil es überhaupt nichts zu sehen gibt, sind die leeren Korridore das einzige, was auf die Geschichte hinweisen. Oft lösen auch Schaustücke oder alte Faustregeln Unerhörtes aus.

Im England des 18. Jahrhunderts hatte man den Tod durch Erhängen zu einer feinen Kunst erklärt. Wer sie beherrschte, erfüllte drei Forderungen, die nach Menschlichkeit, Zuverlässigkeit und Schicklichkeit. Unter Menschlichkeit verstand man eine schnelle, schmerzlose Exekution. (111)

Die Künste mögen sich verändert haben, die Regeln des absurden Zusammenlebens freilich scheinen zeitlos gültig zu sein.

Diese unspektakulären Mini-Ereignisse die über den großen Geschichtsbrocken gespannt sind, kratzen an der Vergangenheit mit dem feinen Flügelschlag der Zeit. Da lässt sich nichts verändern, alles ist gelaufen wie es hat laufen müssen, aber ab und zu knarrt es im Gebälk der Geschichtsschreibung und das Museum gibt ein Brösel Geheimnis frei. - In diesem feinen Duktus des Minimalismus erzählen einander beamtete Wärter oft die tollsten Geschichten.

Hartmut Lange, Im Museum. Unheimliche Begebenheiten.
Zürich: Diogenes 20110. 113 Seiten. EUR 20,50. ISBN 978-3-257-06771-2.

 

Helmuth Schönauer, 27-01-2011

Bibliographie

AutorIn

Hartmut Lange

Buchtitel

Im Museum

Erscheinungsort

Zürich

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Diogenes 0

Seitenzahl

113

Preis in EUR

20,50

ISBN

978-3-257-06771-2

Kurzbiographie AutorIn

Hartmut Lange, geb. 1937 in Berlin-Spandau, lebt in Berlin.