Michaela Falkner, Du blutest du blutest!

Buch-Cover

Üblicherweise sollen Kinderspiele ohne Verletzungen abgehen, und wenn sich dann doch jemand die Nase anhaut, rufen die restlichen Kinder meist: Du blutest du blutest!

Michaela Falkner schickt in ihrem "blutigen Roman" eine Schar Kinder in die Revolution. Zwar haben sie alle pädagogisch wertvolle Sätze ausgelöffelt, dennoch aber kriegen diese Kinder mit, dass es eine andere Sprache gibt, jene des Krieges und der Gewalt. So werden Ereignisse oft mit der falschen Sprache beschrieben, als ob man sich in der Zeitung am Thema vorbeigeblättert hätte und mit der Rhetorik von Wellness den Gerichtsreport lesen müsste.

Allmählich entgleist die Sprache durch die Verwendung falscher Wörter zur richtigen Zeit. Vater hat offensichtlich doch geschossen, die Regierung hat ein Attentat verübt, jemand ist spielerisch gefoltert worden.

Viele wird man nicht identifizieren können, wer im Verhör stirbt wird beiseite geschafft, die Toten noch einmal frontal präsentiert und keiner wendet sich ab. (21)

Die Kids lernen eifrig, zuerst hören sie sich diese Sätze an, die allenthalben von einer Realität sprechen, die es noch zu entdecken gilt, dann verwenden sie die Sätze selbst, ehe sie zu den dazu passenden Taten schreiten. Irgendwie scheint das pädagogische Programm nicht zu greifen, denn diese Kinder sagen seitenweise leere Formeln auf, indem sie zum Beispiel das Einmaleins wie ein Stück Wirklichkeit inhalieren. Auch sonst schleicht sich immer wieder eine ferne Verwaltung in die Kinderseelen, da wird militärisch abgezählt, weil es vielleicht ein Spiel ist, dann werden Listen aufgehängt, die entweder Mitspieler bezeichnen oder Hinzurichtende.

Wir sind die Gang. Wir kommen nachts. Wir plündern und entführen. Wir werden Krieg gegen die Erwachsenen führen, Dinge tun, zu denen sie selbst nicht fähig wären, die sie nicht wagen würden. Nehmt mit: Gummibänder, Gürtel, Pfeile und Milch. (96)

Allmählich wird aus dieser Sprachanwendung ein politisches Programm, bei dem jeder mitmachen kann, weil es gegen jeden gerichtet ist. Die Sprachanwender kennen keinen Pardon, zwischen Spiel und Ernst gibt es wie in der Kindheit üblich keinen Unterschied.

Der Roman endet in der sprachlichen und realen Katastrophe, die Erwachsenen wissen sich nicht mehr zu helfen und die Kinder hängen am Baum. Kann sein, dass sie sich nur baumeln lassen, kann sein, dass sie jemand aufgeknüpft hat, die Sprache hat endgültig ihre Anwendbarkeit verloren.

Michaela Falkner hat einen radikalen Sprach-Roman vorgelegt, der mit Grenzen, Institutionen und Ritualen ums Eck fährt. Wer die Sprache in die Hand nimmt, hat die Macht an sich gerissen. In du blutest du blutest! haben die Kinder die Macht übernommen, weil sie brutal und pervers sprechen wie die Erwachsenen.

Michaela Falkner, Du blutest du blutest! Roman
St. Pölten: Residenz 2011, 118 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-7017-1568-8

 

Helmuth Schönauer, 13-04-2011

Bibliographie

AutorIn

Michaela Falkner

Buchtitel

Du blutest du blutest!

Erscheinungsort

Pölten

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Residenz

Seitenzahl

118

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-7017-1568-8

Kurzbiographie AutorIn

Michaela Falkner, geb. 1970 in Kollerschlag, lebt in Wien.

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