Frieda Norka, Rückkehr ins Kinderseelen-KZ

Buch-Cover

Die Logik in der Literatur ist eine andere als jene in der Forensik, Psychiatrie oder Pädagogik. Um dem Phänomen Schulmassaker ein wenig auf die Spur zu kommen, hat deshalb Frieda Norka die Form der fiktiven Dokumentation gewählt.

Was im lateinamerikanischen Raum literarisch durchaus üblich ist, stellt in unserer Lesekultur nach wie vor eine Besonderheit dar, weshalb man sich die drei Schritte der vorliegenden Dokumentation vor der Lektüre vergegenwärtigen sollte.

Zu Beginn gleicht der Roman einem Schlachtfeld aus Presse-Artikeln. Aufgewühlte Headlines und blutige Aufreißer stellen ein Blutbad in der Schule von Endtgau dar. Dabei wirkt das graphische Bild realistisch, die Schriftzüge und Überschriften wirken wie Ausrisse aus der täglichen Blutpresse.

Aus dieser presse-ähnlichen Inszenierung lässt sich bereits der Plot des Romans heraus lesen. Anlässlich eines Klassentreffens im idyllischen Tiroler Ort Endtgau hat Konrad Gussler, Mobbing-Opfer aus der Schulzeit, eine besondere Überraschung vorbereitet, er liefert ein perfektes Massaker ab.

Im zweiten und umfangreichen Teil des Romans geht es um Logik oder Un-Logik in einer gequälten Biographie. Der Massaker-Mann reflektiert in Tagebucheintragungen und Auszügen aus dem gerade durchgenommenen Lehrstoff seinen erbärmlichen Zustand. Er wird von allem gemobbt, nicht nur Lehrpersonen und Mitschüler machen ihm das Leben zur Hölle, letztlich sind es auch Tagesabläufe und Stundenpläne, ja das ganze Schulsystem insgesamt, das der Erzähler als "KZ" empfindet. Hier wird auch der Titel des Romans dargelegt, der Held empfindet das Schulsystem als "Kinderseelen-KZ". Jene Sprache, die üblicherweise in der Pädagogik zur Aufarbeitung der Nazi-Gräuel verwendet wird, wendet der Erzähler auf sich an. So kommt es zu diesem Tabu-Bruch, dass die Sprache über KZ aus dem Kontext gelöst und für das Feld der aktuellen Pädagogik angewendet wird.

In einem Interview mit einem fiktiven Fachmann wird das Thema Schulmassaker aufgerollt, dabei wird mit Hilfe der pädagogischen Fachsprache das Ungeheure des Stoffes thematisiert. Eine Dokumentation über die weltweit wichtigsten Schulmassaker der letzten Zeit schließt die Doku-Fiktion ab.

Frieda Norka erzählt Tabu-los in einer radikalen Sprache über das Schulsystem, das letztlich aus brutalen menschenverachtenden Komponenten zusammen gesetzt ist. Der Umgang mit dieser Art der Fiktion ist gewöhnungsbedürftig, als Leser ertappt man sich immer wieder, wie man gegen diesen unbarmherzigen Stil rebelliert. Aber andererseits schadet es nicht, wenn man sich einmal auf diese "Massaker-Sprache" einlässt, Aufklärung tut bekanntlich weh, weshalb sie in unseren Breitengraden so selten stattfindet.

Frieda Norka, Rückkehr ins Kinderseelen-KZ. Eine fiktive Dokumentation
Leipzig: tologo Verlag 2010, 515 Seiten,  14,90 €, ISBN 978-3-940596-02-4

 

Helmuth Schönauer, 21-04-2011

Bibliographie

AutorIn

Frieda Norka

Buchtitel

Rückkehr ins Kinderseelen-KZ

Erscheinungsort

Leipzig

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

tologo Verlag

Seitenzahl

515

Preis in EUR

14,90

ISBN

978-3-940596-02-4

Kurzbiographie AutorIn

Frieda Norka lebt in Westösterreich.