Franz Kabelka, Die Muschel

Reisen und Zeitreisen sind quasi die Komplementärmenge zum Alltag und somit ein lohnender Stoff, das Leben von der unsichtbaren Seite des Mondes her zu beleuchten.

Franz Kabelka greift in seinen Reiseerzählungen den Protagonisten unter die Arme der Sehnsucht, indem er nicht nur den Ablauf als Tourismus-Chronist im Auge behält sondern vor allem die Träume, die angelesenen Paradiese und die verschlungene Reiseliteratur mit ins Erzählboot nimmt.

In der Episode „das Loch“ frettet sich ein frustrierter Urlauber auf einer griechischen Insel durch das touristische Alltagsangebot. Natürlich nerven auch die Angehörigen, der Urlaub ist die ideale Fortsetzung kaputter Verhältnisse, wenn man nichts anderes macht, als ihn zu buchen und zu konsumieren. Der Held flüchtet von der Hitze hinauf in die Berge, wo er das Loch entdeckt, eine Höhle, die die Einheimischen vor dem Tourismus zu verstecken versuchen.

Beim Abstieg vom Loch stürzt der Tourist selbstverständlich ab und bricht sich den Knöchel. In einem Wahn von Selbstmitleid und Empörung trifft er auf das Rumpelstilzchen, das offensichtlich ein Brandstifter ist, der die halbe Insel angezündet hat. Im Delirium lässt sich der Tourismus verstehen.

Eine Muschel spielt die Hauptrolle in einer Tauchergeschichte, in der Touristen die üblichen Tauchgänge absolvieren und letztlich nichts mitbekommen. Eine Muschel, die sich nicht öffnen lässt, hat es dem Protagonisten angetan, warum öffnet sie sich nicht und gibt ihren Inhalt preis? Als nach einem Bombenattentat Panik ausbricht und der Held als einer der wenigen bleibt, ist die Muschel plötzlich offen und stinkt.

In einer Exkursion zur stillgelegten nicaraguanischen Revolution gehen ehemalige Revolutionstouristen noch einmal die Highlights ihres Nicaraguaeinsatzes durch. Es ist absolut nichts geblieben, nicht einmal die Erinnerung scheint zu funktionieren. Selbst die Kinder, die während der Revolution schnell mit den solidarischen Fans gezeugt worden sind, sind zurückgelassen und verlassen. - Ein Reisetraum, der kaum das Papier wert ist, auf dem er geträumt worden ist.

In einem böhmischen Nachschlag treten hinter Bad Leonfelden seltsame Käuze wie Hofräte auf. Die böhmischen Abenteuer werden fast Stifterisch von einem Missionar oder Antiquar vorgetragen. In diesem exotischen Land jenseits der Paradiesvorstellungen funktioniert die kleine Skurrilität. „Ich habe Deutsch im Gefängnis gelernt“, sagt ein Tscheche, der mit einem Deutschen die wertvollsten Jahre abgesessen hat.

Franz Kabelkas ungewöhnliche Reiseliteratur stellt das Reisen oft in Frage, wenn er davon erzählt. Gute Reisen, können durch schlechtes Erzählen vernichtet werden, bei Franz Kabelka ist es eher umgekehrt, bei ihm machen die Helden aus einem Desaster oft noch eine sagenhafte Geschichte.

Franz Kabelka, Die Muschel. Geschichten von Reisen und Zeitreisen.
Wien: Edition Mokka 2013. 189 Seiten. EUR 18,50. ISBN 978-3-902693-47-1.

 

Weiterführende Links:
Edition Mokka: Franz Kabelka, Die Muschel
Wikipedia: Franz Kabelka

 

Helmuth Schönauer, 03-10-2013

Bibliographie

AutorIn

Franz Kabelka

Buchtitel

Die Muschel. Geschichten von Reisen und Zeitreisen

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Edition Mokka

Seitenzahl

189

Preis in EUR

18,50

ISBN

978-3-902693-47-1

Kurzbiographie AutorIn

Franz Kabelka, geb. 1954 in Linz, lebt in Feldkirch.