Arno Camenisch, Hinter dem Bahnhof

Held dieses kleinen Kosmos hinter einem Graubündner Bahnhof ist eindeutig die Sprache. Alles, was zur Sprache kommt, klingt heimisch und exotisch zugleich.

Arno Camenisch erzählt aus der Sicht eines großen Kindes vom Jahresablauf in einem kleinen Dorf, das wie in der Schweiz üblich, durch die Eisenbahn stündlich Anschluss an die Welt hat. Hinter dem Bahnhof ist meist die Subkultur situiert, schräge Geschäfte, Nutten und Drogen werden in Großstädten hinter dem Bahnhof abgewickelt. Nicht so hier, ein paar Vaterlandsverteidiger nehmen ihre Ausrüstung aus dem Kofferraum und fahren irgendwohin, um sich mit einer Übung in der generellen Motivation aufzufrischen.

Das Dorf selbst wird durch bemerkenswerte Individuen vorgestellt. Einer schläft immer bis knapp vor der Zugankunft, dann wird er amtlich geweckt und verkauft schnell ein paar Fahrkarten, ein anderer schnitzt etwas mit einem Postschurz zusammen, eine Frau Muoth fährt einen VW Cäfer. Und auch im Haushalt des Erzählers ist immer etwas los, mal muss die Tatta ins Spital dann wieder der Tat. Und jeweils leiden die Übriggebliebenen und man ahnt, dass es mit dem Tatt zu Ende gehen wird, weil er schon den letzten Vogel sieht und spontan nach dem letzten Bier verlangt.

Das Dorf wird erkundet, ob man sich darin verstecken kann oder sonst ein Spiel betreiben. Ausgänge, Garagen, Stiegen-Aufgänge werden mit einer Strichliste dokumentiert, die Kinder lernen früh, auf die Heimat aufzupassen. Als Handlung bietet sich die Harmonie des Jahreskreises an. Mit einer saftigen Weihnachtsfeier geht das Jahr zu Ende, während draußen leichter Schibetrieb einsetzt.

Die einzelnen Gerätschaften werden in der Rätoromanischen Fassung vorgestellt und erzählen allein schon durch den Klang ihrer Begrifflichkeit eine Geschichte. Wenn das Auge des Lesers einen Cäfer sieht, entwickelt sich die Geschichte wie von selbst. Die Helden sind sich ihrer Lage bewusst, wenn sie etwa die Zähne von abgewetzten Sägeblättern ausklopfen. „Wir klopfen, bis wir grau sind und Buckel haben wie Dromedars vom Klopfen.“ (24)

Allmählich hat man das Gefühlt, das Dorf mit all seinen Eigenheiten harmonisch umrundet zu haben. Die aufkeimende Idylle ist echt, da wird nichts für die Touristen vorgespielt, sondern selbst erlebt, was die Älpler andernorts schon verlernt haben. Natürlich ist auch der schweizerische Kleingeist dabei, man frage nicht, was mit einem Gedanken geschieht, der zu groß ist für das Dorf.

Arno Camenisch erzählt große Idylle, ohne in einer Vitrine zu enden. Eine authentische Sprache, gut gepflegt und sorgsam im Alltag eingesetzt, ist die beste Versicherung, um das Glück auch in Worte zu fassen, wenn es unverhofft vorbeikommt.

Arno Camenisch, Hinter dem Bahnhof
Solothurn: Engeler Verlag 2013, 96 Seiten, 16,50 €, ISBN 978-3-906050-02-7

 

Weiterführende Links:
Engeler-Verlag: Arno Camenisch, Hinter dem Bahnhof
Wikipedia: Arno Camenisch

 

Helmuth Schönauer, 24-07-2015

Bibliographie

AutorIn

Arno Camenisch

Buchtitel

Hinter dem Bahnhof

Erscheinungsort

Solothurn

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Engeler Verlag

Seitenzahl

96

Preis in EUR

16,50

ISBN

978-3-906050-02-7

Kurzbiographie AutorIn

Arno Camenisch, geb. 1978 in Tavanasa / Graubünden, lebt in Biel.