Spielen verändert die Welt!

Kinder sollen in der Volksschule lesen, schreiben und rechnen lernen, lautet der allgemeine Tenor der Bevölkerung. Klingt ganz einfach - ist es aber nicht immer. Viele Kinder haben Teilleistungsschwächen, große Probleme in ihrem Sozialverhalten und fühlen sich schlichtweg überfordert, in einer Leistungsgesellschaft mitzuhalten.

Mit dem Einüben und Aufführen von Theaterstücken kann die Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit bestens gefördert und nachhaltiges, auch fächerübergreifendes Lernen auf spielerische Weise initiiert werden. Für mich bietet das Theaterspiel somit eine hervorragende, ganzheitliche Lernmöglichkeit: Es regt die Fantasie an, hebt den Selbstwert, fördert die Kreativität und Kommunikationskompetenz, findet in einer sozialen Gruppe statt und vor allem - es macht Spaß! Theaterpädagogik beinhaltet für mich daher ganz klar auch eine therapeutische Komponente.

Aufgaben der Theaterpädagogik

Das Theaterspielen mit Kindern stellt eine vielschichtige, d.h. mit unterschiedlichen Zielsetzungen einsetzbare pädagogische Methode dar, die deshalb auch sehr unterschiedlichen Ausgangslagen angepasst werden kann. Der Theater Verband Tirol verdeutlicht auf seiner Homepage die Potenziale der schauspieltechnischen Arbeit:

  • Förderung von Lernprozessen in Gruppen
  • Förderung und Entwicklung der sozialen und emotionalen Intelligenz
  • Förderung des eigenständigen Denkens und Handelns
  • Förderung von ganzheitlichem Lernen durch Erfahren und Erleben
  • Kreativer Weg zur Förderung und Entwicklung von sozialen Kompetenz
  • Förderung der Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit
  • Förderung der Präsentationskompetenz
  • Förderung der Ausdrucksfähigkeit
  • Förderung des persönlichen Spielraums

Diese Vielseitigkeit wird zusätzlich noch erweitert durch das breite Spektrum der Themen, die in den verschiedenen Theaterstücken angesprochen werden können. In unserem neuesten Theaterstück Die Stinker geht es beispielsweise um Streit und Höflichkeit, Umgangsformen und um die Lösung von Konflikten: Frau Lehrerin Bömmel traut ihren Augen und Ohren kaum, als sie sieht, was plötzlich mit ihrer Klasse los ist. Die sonst so braven Schulkinder werfen sich Schimpfwörter an den Kopf, ärgern ihre Mitschüler und verabreden sich zu Prügeleien am Sportplatz. Was keiner ahnen kann: Daran sind die für die Menschen unsichtbaren Stinker Schuld! Ole Stinker und seine Stinker-Freunde leisten ganze Arbeit. Bald geht es im Unterricht drunter und drüber. Dann kommt auch noch eine neue Schülerin ...

Die Bühne gibt auch gewisse Sprachregeln vor - laut - deutlich - langsam und somit verständlich.

Knowhow

Auf den großen Denker Konfuzius geht die Auffassung zurück, dass Üben Freude bringt. Tatsächlich stelle ich immer wieder erstaunt fest, dass Kinder beim Proben, auch wenn sie sich über mehrere Wochen lang ziehen, motiviert bleiben.

Der theaterpädagogische Weg ist verblüffend simpel und erfolgreich - doch nur durch eine entsprechend didaktisch durchdachte Umsetzung.

Ich arbeitete jetzt schon das zweite Jahr mit Frau Doris Plörer aus Innsbruck, Schauspielerin und Regisseurin, zusammen. Sie versteht es bestens, jedes einzelne Kind anzusprechen und seine persönlichen Stärken zu entdecken.

Dabei muss ich erwähnen, dass an unserer Schule vier Schulstufen gemeinsam in einer Klasse unterrichtet werden, d.h. einige Kinder lernen erst das Lesen und Schreiben, während andere ihren Fokus schon Richtung Hauptschule bzw. Gymnasium gerichtet haben. Trotz dieser unterschiedlichen Ausgangslagen, ist es möglich, ein gemeinsames Stück umzusetzen!

Wichtig dabei ist zunächst, die Verantwortung an die Schüler zu übertragen. Nicht der Lehrer entscheidet mehr, wer welche Rolle in einem Stück übernimmt. Das erfordert viel Mut, aber es funktioniert tatsächlich! Die Kinder haben ein gutes Gespür und setzen sich durch ihre persönliche Entscheidung voll und ganz mit ihrer Rolle auseinander.

Meist werden Rollen gewählt, welche man im Alltag nicht inne hat. Laute, oft aggressive Kinder, entscheiden sich beim Theaterstück beispielsweise überzeugt für eine fürsorgliche Mutterrolle, während sich hingegen sozial sehr angepasste Schüler bestens mit einem wütenden Stier identifizieren können usw.

Es kann also jeder seine Emotionen ausleben, man probiert wahnsinnig gerne genau das aus, was die anderen nie in einem sehen würden. Wenn ein Kind der selbstgewählten Herausforderung nicht gewachsen ist, rät Frau Plörer, es unter vier Augen zu  fragen, ob es die Rolle immer noch will. Wenn ja, arbeitet sie intensiv mit ihm, wenn nein, dann lässt sie das Kind bestimmen, wer seine Rolle übernehmen soll (wie immer: Freiwillige vor).

Ich glaube, dass man durch das Schauspielen ganz viel über sich selber lernt, bewusst oder unbewusst, ohne großes Zerreden, es passiert einfach. Man kann alle Gefühle der Figur zuschreiben, die man spielt, man ist es ja nicht im wirklichen Leben. Wichtig ist es auch Stunts zu lernen, besonders bei jenen, die gerne schubsen, Pantomime gehört auch manchmal zur Improvisation. (Zitat Frau Plörer, Juni 2011)

Wenn mehrere Kinder die gleiche Rolle besetzen möchten, entscheidet die Gruppe bzw. gibt es ein Casting. Dieser Prozess ist sehr spannend und gibt Aufschluss über die Gruppendynamik innerhalb einer Klasse. Wer gibt nach? Wer trägt die Gemeinschaft? Letztlich muss jede Rolle besetzt sein - das Stück wird nicht umgeschrieben. Die Gruppendynamik ist nicht zu unterschätzen, Klassenclowns werden nicht lange geduldet, man will ja schließlich etwas gemeinsam erzählen und dass Proben mindestens so wichtig sind wie das Training im Sport begreifen alle ausgesprochen schnell. Jeder darf seine Rolle selber beschreiben und erklären, nicht die Schnellreagierer: Disziplin, Geduld mit langsameren Kindern.

Ein besondere Motivation

Als besonderes Highlight haben wir den Kindern dieses Jahr erstmals in Aussicht gestellt, beim Kinder- und Jugendtheaterfestival in Innsbruck aufzutreten. Keine Einigung hätte somit gleichzeitig keine Teilnahme am Festival bedeutet! Tatsächlich stand ein gemeinsamer Konsens kurz auf Messers Schneide - doch wurde er letztlich - ausschließlich von den Schülern - zum Glück gefunden! So konnten alle 16 Kinder der VS Harland mit ihrer Aufführung beim diesjährigen Festival in Innsbruck ihren schauspielerischen Mut beweisen. Es war für uns alle eine tolle Erfahrung!

Der Theaterverband Plausus bietet auf seiner Homepage eine Vielzahl von Theaterstücken zum Downloaden. Auch der Theater Verband Tirol mit Frau Priska Teran als Fachbereichskoordinatorin fördert alle Richtungen des Theaters und darstellenden Spiels und besitzt eine umfangreiche Stückebibliothek mit Stücken lokaler und internationaler Dramatiker. Das Spielgut umfasst derzeit fast 8000 Stücke!

Regeln zum Einstudieren von Aufführungen mit Kindern

Prof. Dr. med. Marguerite Dunitz-Scheer, von der Univ. Klinik für Kinder & Jugendheilkunde Graz, hat in ihrem Vortrag über Psychotherapeutische Aspekte in der Theater- und Musikpädagogischen Arbeit mit Kindern einige klare Grundregeln zum Einstudieren von Aufführungen mit Kindern aufgezählt:

  1. Ziel und Prozess sind wichtig
  2. Beziehe jeden ein, egal ob begabt
  3. Nutze die Eigendynamik des Spielorts
  4. Achte auf realen und emotionalen Spielfluss, bestimme Subgruppenchefs
  5. Musische Pädagogik vereint Bewegung, Tanz, Pantomime, Musik, Sprache
  6. Nutze Zufälle als Einfälle
  7. Gute Organisationsplanung (delegiere und strukturiere soviel als möglich)
  8. Geduld, keine Hektik, jede Probe ist wertvoll, bleibe kreativ
  9. Ohne Helfer gehts nicht: nutze Begabungen und vorhandene Ressourcen
  10. Am Tag X: keep smiling! Loben, loben, loben, motivieren, Selbstkritik zulassen;

Wichtig ist, denn Kindern neu und nicht mit dem Wissen um ihre schulischen Leistungen zu begegnen. Auf Augenhöhe geht es am leichtesten. Die Kinder sind dann frei, zu entscheiden, was sie können (möchten) oder doch lieber nicht. Spielen braucht nur, wer auch will. Die übrig gebliebenen Zuschauer werden dann ganz plötzlich und ohne Zwang zum Mitmachen bewegt. Außerdem gibt es ja viele zusätzliche Arbeiten (Kostüme, Bühnenbild, Bühnenarbeiter, Musik, Beleuchtung usw.). Diese Aufgaben werden von den jeweiligen Kindern sehr gewissenhaft erfüllt und stolz übernommen.

Im Gegensatz zum Singen und Sport ist in der Gruppe keiner austauschbar oder ersetzbar. Die Kinder merken ziemlich schnell, dass sie nur gemeinsam etwas erreichen. Jeder, der auf der Bühne steht ist ungemein wichtig, der Zuschauer kann überall hinsehen, er muss nicht nur auf den Sprecher schauen.

Kreativität ist immer vorhanden, ohne es zu betonen oder forcieren. Die Kinder können alle ihre Ideen einbringen, ohne ausgelacht zu werden, das finde ich sehr wichtig. Wenn jemandem eine Idee nicht passt, soll er doch erklären warum und was besser wäre. Ganz nebenbei wird die Disziplin geschult: Es kann immer nur einer reden, es wird aufeinander gehört und dann erst reagiert.

Wenn Stücke entstehen, kann man Ideen sammeln und dann durch Improvisationen die szenische Umarbeitung entstehen lassen. Da ich immer ein Kind die Regie und damit die Besetzung übernehmen lasse, lernt es schnell, dass Macht nicht alles ist. Plötzlich ist es sehr gefragt, weiß aber genau warum.

Am Theater gibt es keine gegnerischen Mannschaften, alle halten zusammen und teilen sich den Erfolg.
 

Frau Plörer hat mir auch ihre Erfahrungen mit dem Aufarbeiten beim Raufen und Streiten geschildert: Da ich immer auf die Stimmungen eingehe, die in der Gruppe vorherrschen, habe ich die Kinder gefragt, ob sie über die vorangegangene Rauferei eine Improvisation machen wollen oder wie geplant gleich ein Märchen zu spielen. Selbstverständlich wurde die Improvisation gewählt. Die Unbeteiligten waren die Regisseure, sie sollten den Ablauf herstellen. Da kamen die Kinder schon alle von ihren Emotionen herunter. Es ging jetzt um etwas, das alle wussten und doch wieder keiner. Ich habe gesagt, dass es schon drei große Filme über dieses Phänomen gibt, jeder sieht eine andere Wahrheit. Nach einer Viertelstunde war die Streiterei nicht mehr aktuell, ich habe um ein Schlusswort gebeten. Die Unschuldslämmer haben sich dann mit der Wahrheit verraten. Darauf habe ich vorgeschlagen nachzudenken, wie man den Beginn  verhindern kann, denn plötzlich wirft einer einen Stein und dann eskaliert es. Danach waren sie alle bereit fürs Märchen.

Kontinuität

An der Universität Duisburg-Essen, Campus Essen wird seit ca. 20 Jahren das Projekt Kinder spielen Theater unter der Beteiligung von Essener Schulen und Studenten des Lehramtes durchgeführt. So haben in diesem Zeitraum ca. 15 Schulen, z. T. mehrere Jahre lang, und ca. 900 Studenten an diesem Projekt teilgenommen und machen damit die besten Erfahrungen. Ich kann nur jeden dazu ermutigen, die Wirkung von Theater kennen zu lernen und seine Vielfältigkeit zu nützen!

Vorab wäre ein Vorschlag an die Politik, ein Jahr Schauspielunterricht für alle Lehrer. Das gibt eine völlig andere Sichtweise auf den Lernprozess - nicht auswendig lernen - sondern begreifen, verstehen und somit Inhalte mit eigenen Worten wiedergeben. Außerdem stehen wir Lehrende ja auch vor Publikum und sollten spannend vortragen können.

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