PISA-Test 2009: Detailergebnisse für die Lesekompetenz in Tirol

Seit Anfang Februar liegen die Detailergebnisse für den PISA-Test 2009 für Tirol vor. Ähnlich wie für Österreich insgesamt sind auch die Leistungen der getesteten Tiroler Jugendlichen, vor allem im Bereich Lesen, alles andere als erfreulich.

Für PISA 2009 vergab die Tiroler Landesregierung den Auftrag, die PISA-Stichprobe so zu erweitern, dass eine getrennte Auswertung der Ergebnisse für Tirol möglich ist. Während an früheren Tests in Tirol nur ca. 15 - 20 mit 400 - 500 Schülern teilgenommen hatten, absolvierten 53 Schulen mit 1.283 Schülern die PISA-Studie 2009.

Am 2. Februar 2011 präsentierte Bildungslandesrätin Beate Palfrader gemeinsam mit Prof. Günther Haider und Claudia Schreiner vom BIFIE die ernüchternden Ergebnisse der PISA-Studie 2009 für Tirol.

Für mich als Bildungslandesrätin und für das Land Tirol sind die Ergebnisse Auftrag, den Hebel dort, wo wir Gestaltungsmöglichkeiten haben, anzusetzen. Wir werden den schiefen PISA-Turm mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln wieder aufrichten?, kündigt Bildungslandesrätin Beate Palfrader an. Das Tiroler Maßnahmenpaket beinhaltet mehr Sprachförderung bereits im Kindergarten, mehr Geld zur Verbesserung der Lesekompetenz in den Schulen, eine stärkere Einbeziehung der Eltern und einen Ausbau von ganztägigen Schulformen. Wir müssen die Lust am Lesen wieder wecken?, so Palfrader in der Pressekonferenz.
Quelle: Land Tirol: Bildungslandesrätin Beate Palfrader will schiefen PISA-Turm wieder aufrichten

Was wird bei der PISA-Studie für den Bereich Lesen eigentlich getestet?

Getestet werden Grundkompetenzen, das sind Kenntnisse und Fähigkeiten, die einerseits als Basis für lebenslanges Lernen betrachtet werden, die andererseits aber auch als notwendig gelten, um aktiv am gesellschaftlichen Leben oder an der Arbeitswelt teilzunehmen zu können.

Untersucht werden auch fächerübergreifende Fähigkeiten, wie z.B. der Umgang mit Informations- und Kommunikationstechnologien. Es werden daher vor allem Kompetenzen und Fähigkeiten getestet, die für alltagsbezogene Probleme und Situationen wichtig sind.

Lesen wird als dynamischer Prozess verstanden, bei der die LeserInnen auf individuelle Art versuchen, den Inhalt eines Textes zu verstehen, zu interpretieren und zu reflektieren. Bei PISA steht das sinnerfassende Lesen im Mittelpunkt, ob also Jugendliche z.B. in der Lage sind, einem Inserat die wichtigsten Informationen zu entnehmen.


Bildungslandesrätin Beate Palfrader (mitte), Günter Haider (BIFIE) und Claudia Schreiner (BIFIE) stellten die Tiroler Ergebnisse der PISA-Studie vor. Foto: Presseabteilung Land Tirol

Die Leistungen der Tiroler SchülerInnen wurden nach Schulsparten differenziert angeführt, wobei der Anteil der Schüler an den einzelnen Schulsparten berücksichtigt wurde. Manche Ergebnisse für kleine Gruppen im Schulbereich sind aufgrund der geringen Stichprobengröße vorsichtig zu interpretieren.

Das mitunter angeführte Argument, dass sich die Aufrufe zum Boykott des PISA-Tests u. U. negativ auf die Motivation der SchülerInnen ausgewirkt haben könnten, ist hinfällig, da Schülertests, von boykottverdächtigen Schülern herausgefiltert worden sind.

 

Zur Lesekompetenz im Ländervergleich

An der PISA-Studie 2009 beteiligten sich 65 Länder aus allen Kontinenten. Der Mittelwert aller 34 an der PISA-Studie teilnehmenden OECD-Länder für den Bereich der gemessenen Lesekompetenz liegt bei 493 Punkten. Am besten schnitten dabei Schanghai (556) und Korea (539) ab. Die wenigsten Punkte wurden in den Ländern Aserbaidschan (362) und Kirgisistan (314) erreicht.

In Europa schnitten Finnland (536) und die Niederlande (508) am besten ab, die geringste Punktezahl erreichten Serbien (442) und Albanien (385). Österreich (470) und Tirol (463) waren signifikant schlechter als der OECD-Mittelwert und der überwiegende Teil der europäischen Länder.

Schaut man sich die Tiroler Ergebnisse im OECD-Ländervergleich an, so liegen sie im unteren Mittelfeld. Nimmt man die Länder der EU zum Vergleich liegen Österreich und Tirol bei der Lesekompetenz nur vor Bulgarien und Rumänien. Diagramm: Markt-Huter

 

Lesekompetenz nimmt hinsichtlich der Komplexität der Anforderung ab

Auch wenn die Leseleistungen auf die unterschiedlichen Anforderungen hin betrachtet werden, ergibt sich für Tirol und Österreich insgesamt ein wenig erfreuliches Bild.

Die Leseaufgaben des PISA-Tests wurden für drei unterschiedlich komplexe Leseprozesse aufgebaut.
1. Informationen ermitteln: Bei dieser untersten Ebene müssen die SchülerInnen einem Text Informationen entnehmen.
2. Kombinieren und Interpretieren: setzt Leseprozess 1 voraus, wobei ein allgemeines Textverständnis und Zusammenhänge hergestellt werden sollen, um die Texte interpretieren zu können.
3. Reflektieren und Bewerten: setzt Leseprozess 1 und 2 voraus. SchülerInnen müssen über den Inhalt und die Form eines Textes reflektieren, d.h. ihre Genauigkeit, Zuverlässigkeit und Aktualität bewerten. Zusätzlich müssen sie ihr eigenes Wissen, ihre Erfahrungen und eigene Ideen für die Reflexion des Textes mit einbeziehen.
 

  Tirol  Österreich  Türkei  Finnland
 Leseprozess 1 473 477  467  532 
 Leseprozess 2 462 471 459  538 
 Leseprozess 3 459 463 473 542

 

 

 

 

 

Lesekompetenz nach Leseprozessen im Vergleich, Tabelle: Markt-Huter

 

Auch hier lässt sich erkennen, dass in Österreich und in Tirol die Leistungswerte mit zunehmender Komplexität abnehmen. Wenn es also um das Reflektieren und Bewerten eines Textes geht, liegen die Testleistung im Vergleich mit anderen Ländern noch einmal schlechter.

 

Die Lese-Risikogruppe

Beim Vergleich der Verteilung der Lesekompetenzstufen fällt auf, dass im österreichischen Durchschnitt 28% der Schülerinnen der Kompetenzstufe 1b und niedriger anzurechnen sind. Im Vergleich dazu sind in Tirol 31% dieser Kompetenzstufe zugerechnet.

Im OECD-Schnitt gehören 19% zur Lese-Risikogruppe. Im Vergleich dazu kann in Tirol fast 1/3 aller 15/16-Jährigen nur unzureichend sinnerfassend lesen. D.h., sie laufen Gefahr, in ihrem privaten und gesellschaftlichen Leben und auch bei ihrem Eintritt in den Arbeitsmarkt erheblich beeinträchtigt zu sein.

Stufe 1b: Die unterste Stufe, die sich mit dem PISA-Test noch beschreiben lässt
Stufe 1a und 1b: in dieser Gruppe können nur die einfachsten Leseaufgaben von mehr als der Hälfte der Schüler gelöst werden. Wer nur unter 50% dieser einfachsten Aufgaben lösen kann liegt unter Stufe 1b.

Alle SchülerInnen der Stufen unter 1b, 1b und 1a werden zur Risikogruppe-Lesen zusammengefasst. Diese Schüler haben z.B. Schwierigkeiten in einfachen Texten die Informationen ausfindig zu machen, Schlussfolgerungen aus einem Text zu ziehen oder die Hauptidee eines Textteiles zu erkennen.

Im Vergleich dazu ist die auch Anzahl der guten und sehr guten LeserInnen in Tirol (Kompetenzstufe 4 - 6) deutlich geringer als im OECD-Schnitt (29%). Auch hier liegt Tirol (19%) im EU-weiten Vergleich weit zurück. Spitzenreiter Finnland kommt in diesen Kompetenzstufen aus insgesamt 46 %. Diagramm: Markt-Huter

 

Mädchen lesen besser und lieber als Burschen

Ein weiterer sehr interessanter und wichtiger Aspekt sind die teils sehr großen Unterschiede der Lesekompetenz zwischen Mädchen und Burschen, die in allen untersuchten Ländern zu erkennen sind. Schon bisherige Untersuchungen haben den Unterschied zwischen der Lesekompetenz, der Lesefreude und Lesevielfalt zwischen Burschen und Mädchen festgehalten. Die Ergebnisse von PISA 2009 sind für diesen Bereich in Tirol erschreckend.

Betrachtet man die Lese-Risikogruppe (Level 1a, 1b und weniger) so liegt der Anteil der getesteten Burschen dieser Gruppe in Tirol bei 41 %, während bei den Mädchen der Anteil mit 22 % nur etwa halb so groß ist. 4 von 10 der 15 - 16-jährigen Tiroler Burschen haben demnach Schwierigkeiten einen Text sinnerfassend zu lesen.
Berücksichtigt man die durchschnittliche Lesekompetenz, liegt diese in Tirol bei den Mädchen um 50 Punkte höher als bei den Burschen.

Lesefreude und Leseverhalten

Neben der Ermittlung der Leseleistungen durch einen Test wurden die Jugendlichen aber auch über ihr Leseverhalten und ihre Lesefreude befragt.

Für die Erhebung der Lesefreude wurden die Jugendlichen z.B. gefragt, ob sie Lesen zu ihren liebsten Hobbys zählen, oder ob sie sich freuen, wenn sie ein Buch geschenkt bekommen? Daneben wurde ebenso gefragt, ob sie nur lesen, wenn sie müssen, oder um Informationen zu erhalten, die sie brauchen? Neben der Lesekompetenz zeigten sich auch bei der Lesefreude große Unterschiede zwischen den befragten Mädchen und Burschen.

Wenn es um die Lesefreude der befragten Tiroler Jugendlichen geht, so haben 64 % der Burschen und 44 % der Mädchen angekreuzt: Ich lese nicht zum Vergnügen. Im Durchschnitt liest als mehr als die Hälfte aller befragten Tiroler Schüler nicht zum Vergnügen. Diagramm: Markt-Huter

 

Weitere Informationen:

 

Weiterführende Links:
Wikipedia: PISA-Studie
Tiroler Bildungsservice: PISA-Studie - Sofortmaßnahmen für die Tiroler Schulen
PISA - Internationale Schulleistungsstudie der OECD

 

Andreas Markt-Huter, 04-02-2011

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