László Darvasi, Wintermorgen

Große Erzählungen stellen immer auch scheinbar kleinliche Fragen, etwa, wie spielt man als Trommler die Nationalhymne? oder hat das Alter des Spaten einen Einfluss auf den Schlag, der dem Nachbarn über den Kopf gezogen wird?

László Darvasi hat gleich die größten Themen Gott, Heimat und Familie im Visier, um unter diesen Begriffshaubitzen das Schicksal der Menschen am Rand von Gott und der Welt zu erzählen. Diese Novellen setzen meist an einer abwegigen Stelle ein, um sich dann ganz woanders hin zu entwickeln, wo Leser und Helden gleichsam aus den Schuhen geworfen werden.

So nimmt der Arbeiter Gruber umständlich frei und hebt sein Geld ab, als ob er auf Urlaub fahren müsste. In Wirklichkeit kauft er einen miesen Lieferwagen, um seine tote Frau aus der entfernten Klinik abzuholen, auf der Heimfahrt überfährt er einen Hund, dessen Besitzer wollen den Ehering als Entschädigung für den Hund.

Diese maßlosen Größenverhältnisse und Preisvorstellungen sind das Hauptmerkmal prekären Lebens, denn der kausale Zusammenhang zwischen Wert, Leben, Arbeit und Gesellschaft ist nicht mehr zu eruieren. Alles kommt wie ein Gottesbeweis oder Schicksalsschlag, der Einzelne kann nichts dagegen tun, auch wenn er zwischendurch zum Täter wird.

So holt in der Titel-gebenden Novelle Wintermorgen der Sohn den gehbehinderten Vater ab, um ihm etwas zu zeigen. Tatsächlich liegt im Garten ein Toter, daneben steckt ein neuer Spaten im Rasen. Die beiden wenden sich auch mehr dem Garten und dem Spaten zu, als dem Toten, der wie selbstverständlich herumliegt. Nach einigen Getränken erklärt der Sohn dann, dass der Fremde einfach zu nahe gekommen ist.

Kaputte Schicksale, wohin das Novellen-Auge schaut. Auf dem Weg zu einem Konzert verunglückt eine Musikband und alle sind tot bis auf den Trommler. Er sucht seine Stecken zusammen und trommelt das Konzert zur Zufriedenheit aller herunter, vor allem die Nationalhymne geht durch Mark und Bein.

Ein Bibliothekar ist von der Behörde entsorgt oder vergessen worden. Jedenfalls lebt er jetzt obdachlos ohne Leser in der Bücherei. Mit seinem Hund wagt er sich noch ins Freie, der Hund aber fällt einen anderen an, am Schluss liegen beide tot in der Bücherei und im Buch mit den Tipps für Hundehalter steht vielleicht, dass man sie ausstopfen soll. „Damals gab es noch Leser“ (87) stellt der Bibliothekar fest, und dass er jetzt endgültig ausgemustert und vom System vergessen sei.

Ein Vater entdeckt beim Porno-Schauen seine Tochter, wie sie gerade in einem Porno hergenommen wird. Eine Lady kommt mit der Putzfrau nicht zurecht und will sie umbringen, ihr Psychiater gesteht ihr, dass es ihm ähnlich geht. Ein Nachbar schreibt ein Buch über den erzählenden Nachbarn, der sich beim Sex gestört fühlt, und bringt sich um. Mutter und Vater fallen am Ende des Tages über einander her, es ist gar nicht mal klar, ob es überhaupt Sex ist, sie haben nur den Wunsch, das alles zu überleben.

Die Helden dieser 34 Novellen sind jedenfalls mit großen Themen überfordert, in ihren engen Revieren und Gärtchen beäugen sie alles, was draußen vor dem Zaun vorgeht, Angst ist immer dabei und vor allem Ausweglosigkeit. Aus dünnen Verhältnissen kann man sich nur mit Dünnschiss davon machen.

Ein aufgeregter Mensch furzt mehr! (28)

László Darvasi, Wintermorgen. Novellen, a. d. Ungar. von Heinrich Eisterer. [Orig.: Isten. Haza. Casal, Budapest 2015]
Berlin: Suhrkamp Verlag 2016, 346 Seiten, 24,70 €, ISBN 978-3-518-42552-7

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: László Darvasi, Wintermorgen
Wikipedia: László Darvasi

 

Helmuth Schönauer, 02-12-2016

Bibliographie

AutorIn

László Darvasi

Buchtitel

Wintermorgen. Novelle

Originaltitel

Isten

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Suhrkamp Verlag

Übersetzung

Heinrich Eisterer

Seitenzahl

346

Preis in EUR

24,70

ISBN

978-3-518-42552-7

Kurzbiographie AutorIn

László Darvasi, geb. 1962 in Törökszentmiklos, lebt in Budapest.