Rüdiger Görner, Levins Abschied

Die Aufzeichnungen sind oft das Schönste von einem Ereignis oder Lebensabschnitt, im Idealfall gelingt es, heftige Erlebnisse in das Reagenzglas einer Impression zu drängen.

Rüdiger Görner spielt die gut dreißig Geschichten in beeindruckendem Rhythmus ab, auf kurze emotionale Blitzeinschläge folgen durchaus lange Erlebnis-Elegien, worin sich die Vorgänge noch während des Erzählens kristallklar absetzen können.

So beginnt es „im Lektorat“ recht doppeldeutig erotisch, der Dichter ist hingerissen von der Erotik der Lektorin, ihm verschlägt es Stimme und andere Sinne. Er will nur noch in die Meta-Ebene des Glücksrauschens und Begehrens, sie aber klaubt ihm die einzelnen Sätze auseinander, jede ihrer Korrekturen ist angesichts der Gefühlswelle lächerlich.

Der Text zeigt recht eindringlich, wie es in der Literatur zugehen kann. Längst hat uns Leser schon etwas im Buch gepackt und trägt uns fort, wir aber hängen mit den Augen noch an den einzelnen Zeilen, die wir tapfer nachfahren, bis wir kapiert haben, worum es wirklich geht.

In einer scheinbaren Petitesse um Leben und Tod schießt ein Einsatzkommando auf die Opfer, auch als diese schon tot sind. In der Vergangenheitsbewältigung scheint die Ausrede von der Notwehr nicht zu funktionieren, denn die Täter müssen jetzt auch noch den Vorgesetzten erschießen, damit sie eine Ruhe haben.

In einer religiösen Ausnahmesituation verwechselt ein Priester alles und gibt den Greisen die Taufe, während er Säuglingen zur letzten Ölung salbt. Irgendwas stimmt nicht mehr in der Glaubenswelt. Der Priester bittet um eine Neuweihe seiner selbst und lässt die Kirche zum einsturzgefährdeten Denkmal erklären.

In der Titelgebenden Erzählung „Levins Abschied“ sammelt der erzählende Held jede Menge Abschiedsszenen, dabei ist er erstaunt, dass er plötzlich wie selbstverständlich Levin genannt wird. Üblicherweise bestehen diese Szenen aus kurzen, hin gebellten Sätzen.

Überall diese auseinanderlaufenden Menschen. Ich, ein Levin an der Mole. Ein Abschied hat mich gezeugt. Siehst du das Alpenglühen. Hier bliebe ich gerne. (85)

Das erzählende Ich muss sich überall den zweiten Teil der Geschichte zusammenkratzen, um allmählich zu verstehen, wer er ist. Aber je mehr dieses Ich von sich erfährt, umso mehr zerbröselt ihm alles, am Schluss löst sich gar noch der Name in dünnen Strähnen auf. (101)

Rüdiger Görner erzählt dicht, legt Irrspuren ein und verlangt vom Leser durchaus Konzentration. Seine Impressionen und Erlebnisskizzen sind kunstvoll verrenkte Grotesken wie jene Mittagspause, die sich betulich auf der Parkbank entfaltet und einen Protagonisten in der Lunch-Box stöbern lässt, dabei geht es nur um die Unversehrtheit der Alufolie.

Rüdiger Görner, Levins Abschied. Erzählungen und Impressionen
Wien: Sonderzahl Verlag 2016, 223 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-85449-462-1

 

Weiterführende Links:
Sonderzahl Verlag: Rüdiger Görner, Levins Abschied
Wikipedia: Rüdiger Görner

 

Helmuth Schönauer, 06-01-2017

Bibliographie

AutorIn

Rüdiger Görner

Buchtitel

Levins Abschied. Erzählungen und Impressionen

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Sonderzahl Verlag

Seitenzahl

223

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-85449-462-1

Kurzbiographie AutorIn

Rüdiger Görner, geb. 1957 in Rottweil, lebt in London.