Xaver Bayer, Atlas

Titelbild: Xaver Bayer, atlasEine unvergessliche Erzählung taucht aus dem Nichts auf, fesselt den Leser und löst sich samt dem Gefesselten wieder in Nichts auf.

Xaver Bayer erzählt von diesen Zwiebelschalen, die so raffiniert ineinandergesteckt sind, dass wir glauben, beim Zwiebelschneiden nicht weinen zu müssen. Und dann greift doch zwischen den Zeilen heraus eine Hand nach uns und will, dass wir sie halten, bis die Verlorenheit vorbei ist.

In einem Dämmerzustand zwischen Wachen und Schlaf, den vor allem der Beamte als Arbeit kennt, wacht der Ich-Erzähler auf und weiß nicht, wo er sich befindet. Doch dann ist alles klar, er sitzt im Beichtstuhl auf dem Priesterplatz und wartet in einem Schutzengelbild-Ambiente. In der Waldkirche sind die Lichtverhältnisse schon nicht mehr von dieser Welt, wie überhaupt der ganze Wald ein Überbleibsel aus der Kindheit ist, worin man sich ein Leben lang geborgen fühlt.

Aber der Ich-Erzähler mit seinem Schlafsack hat eher das Auskommen als Obdachloser im Auge als den romantischen Wald, zumal ständig Abfall und Zivilisationsmüll auftauchen, kaum dass man einen Pfad eingeschlagen hat.

Auf so einer „Gstättn“ liegen dann auch Dinge herum, die durch das bloße Herumliegen schon eine Geschichte erzählen. Sie sind Überbleibsel einer Produktionskette, und niemand hat bei ihrer Erfindung daran gedacht, wie man sie entsorgen könnte. Der Held nimmt unter anderem einen Atlas mit, weil er sowohl vom Wort Atlas als auch von seiner Kugelform begeistert ist. Durch das Mitnehmen kann man die Geschichte vom Atlas noch etwas hinausziehen, aber wie alles, hat auch der Atlas kein geplantes Ende.

Die schönen Dinge einer romantischen Waldausstattung wetteifern mit dem Plastikmüll um die Herzen der Beobachter. Das eine ist notwendig für den Traum, das andere für das Überleben. Die Idylle funktioniert nur, wenn sie als Antimaterie zur künstlichen Wegwerfwelt inszeniert wird.

Da hat plötzlich jemand im Beichtstuhl Platz genommen und will beichten. Der Erzähler kann nicht schnell genug aus seiner Priesterrolle heraus und nimmt die Beichte ab, zumal es dem Sünder egal ist, wer ihm die Sünden abnimmt. Der Beichtende erzählt eine lange Geschichte vom Wald und einer Raststätte und dem Ersatzpriester kommt das bekannt vor, denn es ist womöglich seine eigene Story. Und skurril: Der Priester-Erzähler kann keine Sünde beim Beicht-Erzähler ausmachen. - Da löst sich ein Schatten und der Beichtende verschwindet im Wald, während sich der Zurückgebliebene schnell in einem Nebel auflöst, der extra für diese Auflösung eingefallen ist.

Xaver Bayer unternimmt mit seinem aufklärenden Gestus alles, um die Erzählung noch während ihrer Verwirklichung zu ironisieren oder sonst irgendwie wackelig zu machen. Aber vergeblich. Die Erzählung wird umso schöner und romantischer, je mehr man an ihr rüttelt und sie in Frage stellt.

Xaver Bayer, Atlas. Erzählung
Innsbruck: Haymon Verlag 2017, 22 Seiten, 16,70 €, ISBN 978-3-7099-3406-7


Weiterführender Link:
Haymon Verlag: Xaver Bayer, Atlas
Wikipedia: Xaver Bayer

 

Helmuth Schönauer, 16-05-2018

Bibliographie

AutorIn

Xaver Bayer

Buchtitel

Atlas

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Haymon Verlag

Seitenzahl

22

Preis in EUR

16,70

ISBN

978-3-7099-3406-7

Kurzbiographie AutorIn

Xaver Bayer, geb. 1977 in Wien, lebt in Wien.