Armin Zöggeler, Mein Leben im Eiskanal

titelbild: Armin Zöggeler, Mein Leben im EiskanalWenn man im Netz die einsamen Gegenden nördlich des Polarkreises durchstreift, trifft man unter der Adelsbezeichnung „Persönlichkeiten“ auf Eishockeyspieler, Biathleten, Schispringer und Rodler. Umso erstaunlicher ist also die kulturelle Vorgabe, dass man in Südtirol durch Rodeln eine Persönlichkeit werden kann.

Armin Zöggeler lebt als Kind idyllisch am Bauernhof in Völlan, ein paar seiner Freunde rodeln schon, aber er ist zu jung, um bei einem Wettbewerb mitmachen zu können. Später verletzt sich jemand, man sinniert, wer einspringen könnte, und kommt auf Armin. Der ist sau-schnell und ein solches Naturtalent, dass er auch in einen künstlichen Eiskanal passt.

Zum vierzehnten Geburtstag ist die Schulpflicht absolviert, Armin kriegt eine Vespa, die er gleich frisiert, und fährt von einem Training zum andern. Freilich blickt der Vater oft stumm am ganzen Bauernhof herum, wenn der Bua weg ist statt zu arbeiten. In der Folge nämlich entwickelt sich ein geschmeidiges, windschlüpfriges Sportler-Leben, die magischen Orte von Eiskanälen werden alle niedergekämpft, allein der Buchumschlag ist auf der Hinterseite voll von Medaillen und Titeln.

In der Niederschrift des Sportler-Lebens durch den „Gazzetta“-Journalisten Simone Battaggia kommt alles zum Vorschein, was den Helden sympathisch macht. Erfolge, Training, Durststrecken, Verletzungen, Werksspionage, Trainerwechsel, Kufen-Klau beim Feind. Privat gibt es lineares Glück, nach den Kindern kommt die Ehe, alle sind eine glückliche Familie. Und mit vierzig hängt der Armin die Sportkarriere an den Nagel und wird Carabiniere.

Im Buch sind jede Menge Fotos für die Fans ausgelegt, Kurven-Studien zeigen, dass hier Maßarbeit gefragt ist, nur wer wie auf Schienen fährt, ist auch schnell. Beamte könnten sich die „Tropfenform“ (163) abschauen für die eigene windschlüpfrige Karriere. Man muss beim Rodeln nämlich die Beine so eindrehen, dass sie einen vom Wind geglätteten Tropfen ergeben.

Was natürlich völlig in dieser geschönten Biographie fehlt, ist die Frage nach der Kohle. Wer verdient an dem Zirkus? Wer bezahlt die Kunstbahnen, die man nur an drei Wochenenden im Jahr verwenden kann? Wie wird gedopt? Welche Märchen werden der Presse erzählt?

Und der entscheidende Aspekt der Kunst-Rodlerei wird auch nicht angerissen: Was ist das eigentlich für eine Gesellschaft, in der man durch Rodeln ein sogenannter Held wird? Was trägt eigentlich ein Rodler zum Wohl der Gesellschaft bei, außer dass er vom Bauernhof flüchten kann und uns dadurch vielleicht einen Psychiater erspart?

Was das Rodeln betrifft, gleicht Südtirol offensichtlich den wüsten Flächen des Polarkreises, in denen man nur dann eine Persönlichkeit wird, wenn man sich als Einzelkämpfer von jeder Gemeinschaft abwendet.

Armin Zöggeler, Mein Leben im Eiskanal. Aufgezeichnet von Simone Battaggia: A. d. Ital. von Karin Fleischanderl [Orig.: „Ghiaccio, acciaio, anima“. Mailand 2015]
Bozen: folio Verlag 2016, 263 Seiten, 22,00 €, ISBN 978-3-85256-705-1


Weiterführender Link:
folio Verlag: Armin Zöggeler, Mein Leben im Eiskanal
Wikipedia: Armin Zöggeler

 

Helmuth Schönauer, 25-01-2017

Bibliographie

AutorIn

Armin Zöggeler

Buchtitel

Mein Leben im Eiskanal. Aufgezeichnet von Simone Battaggia

Originaltitel

Ghiaccio, acciaio, anima

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Folio Verlag

Übersetzung

Karin Fleischanderl

Seitenzahl

263

Preis in EUR

22,00

ISBN

978-3-85256-705-1

Kurzbiographie AutorIn

Armin Zöggeler, geb. 1974 in Meran, lebt in Völlan.