Rainer Juriatti, Die werten Herren

Rainer Juriatti, die werten herrenGute Essays haben eine Kraft, mit der sie die Leserschaft in den Ringkampf der Gedanken zwingen mit ungewissem Ausgang. Im Essay hat letztlich der Leser recht, wenn er sich mit den Argumenten des Textes auseinandergesetzt hat.

Rainer Juriatti greift die Unruhe auf, die anlässlich des Jahrhundertwahlkampfes um die österreichische Bundespräsidentschaft 2016 dem Land noch nie gehörte Floskeln und Argumentationen beschert hat. In einem Umhüllungsessay stellt der Autor seinen Umgang mit dem Stoff in Lektürenotizen und Assoziationen vor, ehe dann im Kern als Theatermonolog ein Delinquenten-Ich auftritt, das die „werten Herren“ fragt, wie sie zu so einer menschenverachtenden Haltung kommen.

Dem Monolog liegt die These zugrunde, dass man seit dem griechischen Theater das Übermenschliche nur als Pathos darstellen kann, in jüngerer Zeit etwa mustergültig durchexerziert von Heiner Müller. Das monologisierende Ich rechnet mit den gängigen Abgrenzungsstrategien ab und stellt den Stolz Österreichs als helle Vision vor:

Wir sind nicht besser als andere, liebe Freunde. Wir sind etwas Besonderes. […] Dieses Teilen unserer Gefühle kennt keine Grenze, reicht von Revolutionssiegen bis zu verlorenen Kriegen, wenn es dann sein muss! (145)

Dieser Monolog ist eingebettet in die Argumentationsgeschichte eines suchenden Autors, der bei all seinem Denken von der Idylle der Kindheit ausgeht. Alles überschaubar, die Welt menschlich groß, die Provinzstadt so stabil, dass nie etwas passiert! Und darin stellt ein verrückt-guter Deutschlehrer seine Performances über den Irak-Krieg vor und erntet nur Kopfschütteln.

Mittlerweile gibt es diese Idylle nirgendwo mehr und der Diskurs über die Welt ist aus den Fugen geraten. Der sogenannte Populismus arbeitet auf einem Level, der mit den bisherigen Mitteln der Gesellschafts-Philosophie nicht erreichbar ist.

Als Beschreibung dieses Populismus dient eine Untersuchung aus dem Jahre 2009 der Extremismus-Forscherin Brita Schellenberg. Das Vokabular und die Analysen taugen freilich nur mehr bedingt für eine Welt nach 2015, als die Asylbewegung ganze Staaten in ihrem inneren Gefüge zerlegt hat. Der Bundespräsidentenwahlkampf ist dann auch eine Auseinandersetzung, worin sich die Begriffe fast jeden Tag verschieben.

Der Autor kommt öfters an den Rand der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit, er weiß, dass er in seinem Atelier sitzend auf Fake-Nachrichten, Wortveränderungen und erfundene Geschichten angewiesen ist. Denn es gibt längst keine Gewissheit mehr, die man sprachlich erledigen könnte. In einem Absatz führt er probehalber alle Schimpfwörter zusammen, die im politischen Diskurs während eines Blogs gebraucht werden. Die werten Herren sind nicht zimperlich, wenn sie von „Souveränitätsmörder“, „Drehtüraufsteiger“, „Gender-Aktivisten“ oder „Selbst-Entmachter“ sprechen. (48) Und es ist kein Ende dieser aufgewühlten Semantik abzusehen.

Sie alle werden nicht ruhen, bis die beißende, zerstörerische Unruhe uns alle erfasst. (148)

Rainer Juriatti zwingt den Leser, Vorurteile aus der Argumentation herauszunehmen. Das Thema Populismus ist gekennzeichnet von Schnell- und Hüftschüssen. Im Essay muss man sich die Argumente anhören, auch wenn es einen zum Widerspruch drängt. Und erst beim Monolog! Da hat man gar nichts zu sagen und tut gut daran, sich einmal mit der Urgewalt des Theaters ein paar Dinge der Menschlichkeit sagen zu lassen.

Rainer Juriatti, Die werten Herren. Essay mit Theatermonolog
Innsbruck: Limbus Verlag 2017, 148 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-99039-115-0

 

Weiterführende Links:
Limbus Verlag: Rainer Juriatti, Die werten Herren
Wikipedia: Rainer Juriatti

 

Helmuth Schönauer, 30-11-2017

Bibliographie

AutorIn

Rainer Juriatti

Buchtitel

Die werten Herren. Essay mit Theatermonolog

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Limbus Verlag

Seitenzahl

148

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-99039-115-0

Kurzbiographie AutorIn

Rainer Juriatti, geb. 1964 in Bludenz, lebt in Graz.