Alejandro Zambra, Ferngespräch

alejandro zambra, ferngesprächDer Titel Ferngespräch löst sofort Neugierde und Fernweh aus und macht ein weites Lesefeld auf, denn wie oft liest unsereins schon einen Band mit chilenischen Stories.

Alejandro Zambra erzählt in seinen elf Geschichten von diesen diffusen Metamorphosen, wo man mit der Wahrheit hineingeht und mit was Falschem herauskommt, wo das Kind mit ein paar Handgriffen erwachsen wird, wo ein Schriftsteller schließlich echt und professionell wird, weil er das passende Programm verwendet hat.

So spielt die Eröffnungsgeschichte „Eigene Dokumente“ mit jenem Erzählelement, das jeder von uns am PC bedient. Die Sammlung „eigene Dokumente“ tut sich am Bildschirm auf, doch wer ist schon imstande, eigene Geschichten zu verfassen. Der Ich-Erzähler denkt an seine Eltern, die er mit dem Sprichwort zusammenfasst: Mein Vater war ein Computer, meine Mutter eine Schreibmaschine. (29)

Von klein auf haben sie ihm beigebracht, dass man vor allem in politisch bedenklichen Zeiten sorgfältig mit dem Schreiben umgehen muss. Die Diktatur vom Pinochet hat man tagsüber goutiert, indem man Drachen hat steigen lassen, die sich mit dem Wind bewegen. Doch nächtens hat man diese Geschichten in den eigenen Dateien gesammelt. Der Erzähler ist erwachsen und schreib-bereit, als er sich seine ersten PC kauft.

Der phantastische Fußballer „Camilo“ ist in Wirklichkeit so kurzsichtig, dass er nicht bis zur Mittellinie sieht. Er entfaltet seine Lebenskunst vor allem außerhalb des Spielfeldes und ist ein idealer Trainer für das Leben. Dennoch weiß er, wann es genug ist, und schießt im Entscheidungsspiel bewusst ein Eigentor, um die wahren Kräfteverhältnisse aufzuzeigen.

In der titelgebenden Geschichte vermittelt ein Student nächtens Ferngespräche, meist nach Paris. Er kann nebenher lesen und ist dennoch in Echtzeit mit der Welt verbunden. Diese im Callcenter zusammengestöpselten Kommunikationen freilich trüben den Blick für die wahre Welt. Es kommt privat zu Missverständnissen, indem sich die Geliebte plötzlich als Nutte fühlt und er einen Berufsschullehrer gibt. Aber beides ist falsch, wie auch die meisten verbundenen Gespräche falsch sind.

„Wahr oder falsch“ ist in der Geschichte von der Wahrheit zuerst einmal eine bloße logische Übung. Kann eine Wohnung falsch sein? Sind Kinder richtig? Und was macht man mit einer Katze, die Schrödinger gelesen hat und sich auf die Tastatur legt und alles blockiert?

Alejandro Zambra nimmt unauffällige Begebenheiten zum Anlass, um daraus erzählende Essays über die großen Dinge zu machen. Wie funktioniert die Diktatur im Alltag? Wann ist klar, dass jemand Künstler wird? Was bleibt von einer Erziehung, die nur auf Umwegen stattgefunden hat? Die Helden arbeiten sich tapfer an den Kommunikationsgeräten ab, mal als Ferngespräch, mal als eigene Datei. - Bravourös alltagstauglich!

Alejandro Zambra, Ferngespräch. Stories, a. d. Span. von Susanne Lange. [Orig.: Mis Documentos, Barcelona 2014]
Berlin: Suhrkamp Verlag 2017, 237 Seiten, 22,70 €, ISBN 978-3-518-42595-4


Weiterführender Links:
Suhrkamp Verlag: Alejandro Zambra, Ferngespräch
Wikipedia: Alejandro Zambra

 

Helmuth Schönauer, 18-05-2017

Bibliographie

AutorIn

Alejandro Zambra

Buchtitel

Ferngespräch. Stories

Originaltitel

Mis Documentos

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Suhrkamp Verlag

Übersetzung

Susanne Lange

Seitenzahl

237

Preis in EUR

22,70

ISBN

978-3-518-42595-4

Kurzbiographie AutorIn

Alejandro Zambra, geb. 1975 in Santiago de Chile, lebt in Santiago de Chile.