Harper Lee, Wer die Nachtigall stört ...
„Als so viel Zeit vergangen war, dass wir gelassen auf die Ereignisse zurückblicken konnten, sprachen wir bisweilen über die Umstände, die zu dem Unfall geführt hatten. Ich behauptete die Ewells seien an allem schuld gewesen; aber Jem, vier Jahre älter als ich, meinte, es habe schon früher begonnen … nämlich in jenem Sommer, als Dill zu uns kam …“ (S. 2)
Harper Lees berühmter Roman „Wer die Nachtigall stört“ erzählt die Geschichte eines Gerichtsprozesses in Alabama, in den Südstaaten der USA in den Jahren der großen Depression. Im Mittelpunkt dabei steht die Kindheit von Scout und Jem, den Kindern des alleinerziehenden Rechtsanwalts Atticus Finch, die in einer von Rassismus geprägten Gesellschaft aufwachsen und den Hass auf die schwarze Bevölkerung hautnah miterleben müssen.
Berichtet werden die Ereignisse aus der Sicht von Jean Louise, die von allen nur Scout genannt wird. Ihr älterer Bruder Jem, ist nach einem komplizierten Ellbogenbruch durch einen etwas kürzeren linken Arm etwas behindert. Scouts und Jems neuen Freund Dill ist wie magisch von ihren Nachbarn, der Familie Radley angezogen, über deren Sohn Arthur Boo, von der Familie versteckt werde, unheimliche Gerüchte in Umlauf sind.
In der Schule fühlt sich Scout, die bereits Lesen und Schreiben kann, von der unerfahrenen Lehrerin zurückgewiesen. Ihr Vater bittet sie jedoch, sich in die Lehrerin hineinzuversetzen, um sie besser zu verstehen. Auch das zweite Schuljahr verläuft für Scout zunächst recht langweilig, bis ihr Vater von Richter Taylor zum Pflichtverteidiger für den schwarzen Farmarbeiter Tom Robinson bestellt wird. Robinson wird beschuldigt, ein weißes Mädchen vergewaltigt zu haben.
Bald schon bekommen Atticus und seine Kinder den latenten Rassismus zu spüren, als ihn die Bewohner der Kleinstadt Maycomb als „Negerfreund“ beschimpfen und auch Scout und Jem werden in der Schule unter Druck gesetzt. Für die meisten weißen Bewohner steht Robinson bereits als schuldig fest und so marschiert eine Bürgergruppe zum Gefängnis, um den Angeklagten zu lynchen. Atticus versucht die Männer davon abzuhalten, aber erst Scout gelingt es, die aufgebrachte Menge zu beruhigen.
Atticus gelingt es im Prozess zunehmend Robinsons Unschuld aufzuzeigen und für ein gerechtes Urteil zu plädieren. Er hofft, dass die Geschworenen für seinen Mandanten entscheiden werden, als Tom Robinson unerwartet aus dem Gefängnis ausbricht und flieht.
Fred Fordham gelingt es eindrucksvoll Harper Lees berühmten Südstaaten-Roman mit ausdrucksstarken Comic-Zeichnungen zum Leben zu erwecken. Obwohl sie Fordham streng an den Inhalt der Geschichte hält, erschafft er seine eigenen Bilder und Emotionen der kraftvollen Charaktere und entführt die jugendlichen Leserinnen und Leser in die Zeit der 30er Jahre des 20. Jahrhundert, eine Zeit der Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise aber auch des latenten Rassismus, der die Welt der Südstaaten in Weiß und Schwarz unterteilt.
Eine überaus empfehlenswerte Graphic Novell, die mit viel Einfühlungsvermögen und literarischen Sinn einen Klassiker der amerikanischen Literatur nicht nur für ein jugendliches Publikum zum Leben erweckt und dessen charakterstarken Comic-Zeichnungen mehr als nur eine illustrierende Ergänzung darstellen.
Harper Lee, Wer die Nachtigall stört ... Graphic Novel, ill. v. Fred Fordham, überarb. v. Nikolaus Stingl, übers. v. Claire Malignon [Orig. Titel: To Kill a Mockingbird], ab 14 Jahren
Hamburg: Rowohlt Verlag 2018, 288 Seiten, 20,60 €, ISBN 978-3-499-21822-4
Weiterführende Links:
Rowohlt Verlag: Harper Lee, Wer die Nachtigall stört ...
Wikipedia: Harper Lee
Andrew Nurnberg Associates: Fred Fordham (engl.)
Andreas Markt-Huter, 24-06-2019