Urs Faes, Als hätte die Stille Türen
Wir sind Spätlinge.? ? Der Komponist Alban Berg schreibt in den Zwanziger Jahren die hitzigsten Liebesbriefe der Literaturgeschichte an seine Freundin Hanna Fuchs-Werfel, er ist aufgewühlt in seiner Spätleidenschaft, und die Stille zwischen den Tönen hat Türen.
Den Journalisten David Rudan trifft es kurz vor dem Jahrtausendwechsel ähnlich heftig. Eigentlich will er vor seiner Pensionierung noch etwas über Bäume schreiben, das passt gut in den Herbst, aber da kriegt er dieses Stechen im Unterleib und erkrankt sinnlos schwer und lebensmüde.
Halbwegs genesen trifft er auf die Sängerin Simone und reist ihr vage auf ihrer Konzerttour nach. Die Liebe ist letztlich eine Art pochende Musik, die im Innern schlägt und dabei oft die Türen zuschlägt. Dem Journalisten gehen manchmal die Empfindungen durch, er formuliert kühn, wo er früher vorsichtig abgeschwungen wäre. Statt der Briefe gibt es mittlerweile SMS, aber die Liebe in ihrer Wortlosigkeit ist heftig wie bei Alban Berg.
?Er erblickte das Schloß Miramare, das der österreichische Erzherzog Maximilian für seine zwanzigjährige Gattin hatte bauen lassen. Berg hatte diesem unglücklichen Sohn des Kaisers Franz Josef einen Liederzyklus widmen wollen. Unermüdlich hatte er versucht, alles Gehörte und Erlebte umzusetzen, in Kunst zu verwandeln.? (111)
Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit, die Leidenschaft in den Griff zu bekommen, indem man sie in Liebe und Kunst umwandelt. So entsteht in etwa das Spätwerk der Liebe.
Urs Faes hat mit diesem musischen Liebesroman einen spätromantischen Zugang zur Musik, zum Älterwerden und zur Geschichte geschrieben. Freilich ist alles fein durchkomponiert und an manchen Textstellen schlägt die Karkasse der Komposition durch. Aber andererseits schafft diese schweizer Genauigkeit in Sachen Liebe immer etwas Doppelbödiges, eine Art doppelte Sicherheit.
Wenn eine Liebesgeschichte in der Literatur schon einmal heftig dargestellt ist, warum kann man sie dann nicht für sich selbst nacherleben, denken sich Autor und Figuren, und so entsteht aus einer riesigen Inszenierung Kunst. Und es folgen daraus letztlich jene Tage, die uns im Herbst des Daseins heftig verliebt und glücklich machen.
Urs Faes, Als hätte die Stille Türen. Roman.
Frankfurt/M: Suhrkamp 2005. 170 Seiten. EUR 16,90. ISBN 3-518-41666-9.
Helmuth Schönauer, 01-08-2005