Jonathan Perry, Scherben

jonathan perry scherbenScherben sind ein faszinierendes Gebilde voller Widerstand und Querköpfigkeit. Meist sind sie Elemente aus einem größeren Ganzen, das zu Bruch gegangen ist, oft liegen sie in trockenem Gelände herum und lösen bei gutem Sonnenlicht heftige Waldbrände aus. Und kaum geht man barfuß, tritt man sich trittsicher etwas ein, was sich spontan in einem Schmerzseufzer entlädt.

Jonathan Perry hat poetische Scherben ausgelegt, die durchaus scharfkantig wie ihre physikalischen Wiedergänger als Poetische Scherben aufstacheln und irritieren sollen. Dabei hält sich der Autor durchaus an das Sprichwörtliche nach dem Motto „Scherben bringen Glück“.

Allerdings dreht er die Komponenten um, so dass aus Tätern Opfer werden, aus Passiva Aktiva, aus der Unscheinbarkeit die Größe.

he / mach keine Mücke / Elefant (18)

Oft kommen die Grundkoordinaten oben – unten, innen – außen, Natur – Stadt zum Handkuss, indem ihnen ein Gedicht umgehängt wird.

den Himmel / bevölkern Skelette / im Licht / schwirren die Motten / tippen ans Fenster (20)

Den Helden dieser poetischen Brosamen merkt man es vorerst nicht an, dass sie gerade einen Auftritt haben, versunken wandeln sie dahin, und das anschließende Entengeschrei ist vielleicht das Ergebnis langen Nachdenkens.

sie geht / in stiller Au / sie denkt / ganz ernsthaft nach / - gackernde Enten (22)

Es sind Alltagsszenen, Nischen eines Vormittags, unvollendete Bewegungen oder Absichten, die zu kleinen Sprachkapseln eingerollt sind wie ein Bonbon, während man es öffnet, flattert ein kurzer Sinnspruch auf, den man nicht eindeutig zuordnen kann. Der Hut eines Straßenmusikanten ist noch nicht vollgespielt, das Glück am Brunnen wäre vollständig, wenn man die eingeworfenen Münzen verwenden könnte, der Gürtel passt nun schon zweimal um den Leib, weil nichts Ordentliches zum Essen da ist.

Der Verfasser von Lebensweisheiten hat jedenfalls eine Menge gesehen und irgendwie genug davon, zumal alles irgendwie endgültiger und absoluter wird.

schreibe / ein Leben / langes Gedicht / wird immer kürzer (41)

Selbst die Reflexionen sind nicht immer zuverlässig. Wie will man sein Gesicht aushalten, wenn schon der Spiegel mit sich selbst am Ende ist.

wie blind / doch Spiegel sind / sie hängen / mit dem Rücken / zur Wand (55)

Jonathan Perry wirft seine Gedichte wie ein säender Scherbenmann aus, seine Zeilen irritieren, man muss sich darum kümmern, sonst könnte eine schlimme Wunde daraus entstehen. Und andererseits gibt es keine Waffe gegen Scherben, sie lassen sich nicht abwehren, man muss sie als Leser im eigenen Weltbild unterbringen, ehe dieses poesievoll zerbricht.

Jonathan Perry, Scherben. Gedichte
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2018, 64 Seiten, 7,00 €, ISBN 978-3-903125-22-3

 

Weiterführender Link:
Sisyphus Verlag: Jonathan Perry, Scherben

 

Helmuth Schönauer, 10-03-2018

Bibliographie

AutorIn

Jonathan Perry

Buchtitel

Scherben. Gedichte

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Sisyphus Verlag

Seitenzahl

64

Preis in EUR

7,00

ISBN

978-3-903125-22-3

Kurzbiographie AutorIn

Jonathan Perry, geb. 1993 in Lilienfeld, lebt als Straßenmusiker in Melk, St. Pölten und Wien.

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