Annett Krendlesberger, Zwei Blatt und zwei

annett krendlesberger, zwei blatt und zweiManchmal ist eine Seele so verletzt und aufgewühlt, dass sie nicht einmal mehr mit einem Roman über die Runden kommt, in so einem Fall hilft nur spitze Prosa.

Annett Krendlesbergers „Zwei Blatt und zwei“ ist natürlich ein Roman, wenn man ihn beim ersten Mal durchstreift, in einem zweiten Nachgang bemerkt man als Leser, dass es gerade jene, Schnitt für Schnitt, zertrennte Seelen-Helix ist, die in zwanzig Prosaanläufen als Thema herausgeschält wird.

Die Heldin erlebt als Ich-Erzählerin eine Kränkung, ihr angebeteter Magnus hat offensichtlich mit einer Kollegin eine Affäre angefangen. Und obwohl das eigene Verhältnis zu ihm noch gar nicht richtig abgeklärt ist, empfindet sie es als Schlag ins Gesicht. Wie immer, wenn eine undefinierte Verletzung die Psyche beeinträchtigt, sieht die Erzählerin in der Folge alles unter dem Aspekt einer Kränkung aus heiterem Himmel heraus.

Die Heldin flieht mit Luftgepäck ausgerüstet nach Rom, bleibt aber an den diversen Reisestationen hängen und verliert sich während einer Taxifahrt, in der Schlange vor dem Sicherheits-Check, in der Luftbestuhlung oder auch nur in einer fehlenden Farbschattierung, wofür das Mausgrau berühmt ist.

Während es im Innern brodelt und die Welt in scharfen Sätzen herantanzt wie bei einem Pfeil-Angriff mit Impulsen, erweisen sich die Menschen rundherum ebenfalls angeschlagen, in Verdruss versunken oder mit nervösem Getue beschäftigt. Innen und außen ist keine Ruhe, und wenn zwei Teile zusammenpassen, liegt schon wieder ein Schatten von Magnus über den soeben abgearbeiteten Gedanken.

Rom selbst ist in Hitzepartikel aufgesplittert, die Wohnung, die Plätze, alles ist heiß, der ewige Ferragosto lähmt das Leben, und selbst der Papagei bringt keine Sätze mehr hervor, sondern nur Exkremente.

Auf der Toilette ist es ein Bild, das die Seelenlage beschreibt.

Im Abwaschbecken sitzt eine Kakerlake. So sehen Kakerlaken aus. / Die Klobrille ist aus Holz. / Die Klobrille ist weiß lackiert. / Zwei Blatt und zwei, zwei und zwei rundherum drapieren. / Ich geb acht, dass ich mir keinen Schiefer einziehe, heb mich vorsichtig auf. (90)

Das ist das Geheimnis scharfer Prosa: Sie kann eine große Lage vorantreiben wie ein Roman und kann sich in den Augenblick hineinfräsen wie Lyrik. In dieser mit Sätzen durchgepeitschten Verlorenheit in einer fremden Stadt, in einem fremden Klima, auf einem Ort, der nicht einmal zum Scheißen taugt, imaginiert sich die Erzählerin in die Rolle einer düpierten Prinzessin hinein. Vielleicht ist alles nur Animosität, vielleicht ist alles ganz anders, vielleicht muss man nur die richtigen Wünsche formulieren: Gebt mir ein Schloss! (109)

Gerade weil die einzelnen Sequenzen so klar sind, entsteht daraus wie im Pointilismus eine amorphe Masse, in der Heldinnen verschwinden können. – Eine tolle Geschichte, evoziert durch sorgfältige Erzählkunst.

Annett Krendlesberger, Zwei Blatt und zwei. Prosa
Wien: Bibliothek der Provinz 2018, 142 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-99028-740-8

 

Weiterführende Links:
Bibliothek der Provinz: Annett Krendlesberger, Zwei Blatt und zwei
Wikipedia: Annett Krendlesberger

 

Helmuth Schönauer, 23-05-2018

Bibliographie

AutorIn

Annett Krendlesberger

Buchtitel

Zwei Blatt und zwei

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Bibliothek der Provinz

Seitenzahl

142

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-99028-740-8

Kurzbiographie AutorIn

Annett Krendlesberger, geb. 1967 in Wien, lebt in Wien.